Dieser Bericht gehört nicht zu der Reise- war ein Versuch, sich mit der Blogtechnik vertraut zu machen. Hab kurz vor der Abreise noch ein Abschiedsgeschenk meiner Teamleiter eingelöst. Motto: "mit viel heißer Luft über allem schweben" Danke dafür nochmal, war echt toll! Ich lass den Bericht stehen, weil ganz interessant,, wie ich finde....
Heute früh um sechs trafen sich sechs Menschen, die heute Ballon fahren wollen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und alle, die sich am Parkplatz des Minigolf in Bernau am Chiemsee zusammen gefunden haben, sind heute schon sehr früh aufgestanden. Dennoch war von Müdigkeit bei niemanden etwas zu spüren, viel mehr war die Stimmung ist sehr erwartungsfroh und aufgeregt, denn bald sollten wir in einem Heißluftballon nördlich vom Chiemsee fahren. Wir, das sind insgesamt sechs Passagiere, der Gerhard und die Marianne, der Reinhard und die Silvy, Tina und ich. Und last but not least natürlich Wolfgang Schnaiter, der sich vor Jahren schon auf's Ballonfahren verlegt hat und ein Unternehmen, genannt „Chiemsee Ballooning“ gegründet hat. Von der Landschaft her eignet sich der Nordrand der Alpen fürs Ballonfahren sehr, mit Blick auf den Chiemsee muss man keine Angst haben, dass einem die Szenerie nicht gefällt.Wir sind dann zusammen mit einem Bus von Bernau aus nach Eggstätt gefahren, haben dort gemeinsam den Balloon hergerichtet und gestartet.
http://www.chiemseeballooning.de/
Stellt euch vor, ihr kommt nach einer langen, anstrengenden Reise von irgendwo in der Welt am JFK Flughafen in New York City an. Also stecken mindestens 10 Stunden Anreise in euren Knochen, dann noch endlose Schlangen bei der Grenzkontrolle (über eine Stunde!), und dann seid ihr aber noch lange nicht am Ziel. Möglicherweise fliegt ihr weiter, schlimmstenfalls von einem anderen Flughafen in dieser großen Stadt, oder ihr habt noch eine weite Reise zu eurer endgültigen Adresse vor euch. Ihr denkt, ihr seid schlau und bucht einen Shuttle, hat ja bisher auch immer gut geklappt. so ging’s mir, da ich nach sechs Tagen von Newark aus weiter reisen wollte, nahm ich den Shuttle nach New Jersey, um dort mein Mietauto abzuholen. Außer, dass ich gerne auch einmal ankommen wollte, hatte ich am Abend meiner Ankunft keine zeitlichen Zwänge. Andere war nicht so glücklich wie ich, sie hatten Anschluss Flüge in Newark. So zum Beispiel Greg, ein Student aus Florida, der in Omaha Medizin studiert. Er kam an dem Tag aus Düsseldorf in Newark an, wollte mit dem Shuttle Bus nach La Guardia fahren, um dort weiter nach Omaha zu fliegen, blieb im Verkehr stecken, versäumte seinem Flieger, buchte auf einen späteren Flieger in Newark um und stieß zu uns in den Shuttle dazu, um wieder nach Newark zurückzukehren (Zitat einer verzweifelten Feststellung: "at the end of the day I will have spent 70 $ to go nowhere and missed two planes"-Danach ging er ins Flughafenhotel). Überhaupt fand sich in dem Bus mit vier Sitzreihen eine illustre Gesellschaft zusammen: Hiue und seine Frau Bian aus Vietnam, auf der Rückreise von Ihrem Heimaturlaub, Keyshawn aus Maplewood westlich von Newark, der sich so das Geld für 150 $ Taxi sparte, ein Schwede dessen Namen ich nicht erinnere, der mit seiner winzigen guatemaltekischen Frau unterwegs war, ich weiß nicht wohin, drei Chinesen ohne Kontrabass,die kein Wort Englisch konnten, und von denen ich deshalb nichts berichten kann. Ach ja nicht zu vergessen diese Hüne von einem Mann, der auf der ganz hinteren Sitzreihe Platz nahm, kein Wort sagte und noch zwei Minuten anfing zu schnarchen…Ihr dürft euch das nicht so vorstellen, dass wir uns alle an einer Haltestelle getroffen haben, und in einen ankommenden Bus eingestiegen sind. Nein, nein, so geht das nicht. In JFK gibt es sieben Terminals, und diese Shuttle fahren so lange im Kreis (genauer gesagt, was auch immer es ist, es ist kein Kreis) bis sie voll sind, und dann stürzen sie sich in das Verkehrschaos von NYC. Nun, wir Passagiere waren zwar auch genervt, aber unser Fahrer, der das jeden Tag hatte, hat sich als Überlebensstrategie in den vielen Jahren dieses aufreibendden Jobs wohl seinen eigenen speziellen Humor zugelegt und im Übrigen die Ruhe weg. Er bewegte sich sehr langsam und ging allen Dingen auf den Grund. er hieß Bernardo und kam aus Puerto Rico. Und machte mich früh als Angriffspunkt aus. Ich weiß nicht, warum. Jedenfalls bedrohte er mich ständig damit, mich auf der Autobahn an die frische Luft zu setzen, die im übrigen gar nicht so frisch war, Und dann wollte er mich sogar von der Verrazzano Bridge schmeißen, das ist das Riesenbauwerk, das Staten Island mit Brooklyn verbindet. Da darunter die Zufahrt zum Hafen von New York liegt, ist diese Brücke ziemlich hoch. Wie Oskar Maria Graf schon richtig feststellte, ist der Humor das beste Mittel gegen die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit. Er hilft aber auch dann, wenn man fremden Mächten ausgeliefert ist und nicht so vorankommt wie man will. Der folgende Link gibt einen guten Einblick in eine solche Situation.
Heute ist Meghans großer Tag. Die Vorbereitungen zu ihrer Hochzeit laufen seit einem Jahr. Wir sind in Neu-England, und die Zeremonie wird auf einer wunderschön hergerichteten Scheune stattfinden, in einer sehr idyllischen Lage, an einen Golfplatz erinnernd. Wie gesagt, die Vorbereitungen laufen seit über einem Jahr, alles wurde generalstabsmäßig geplant, und damit gar kein Malheur passiert, wurde gestern sogar eine Generalprobe durchgeführt. Alles hat geklappt, also es sieht gut aus. Viele der 150 Gäste sind schon gestern angereist, zwei gemeinsame Essen liegen schon hinter uns. Anders als bei uns wird die Zeremonie erst am Nachmittag, genauer gesagt um 16:00 Uhr stattfinden, was gar nicht so ungünstig ist, weil wir alle sonst in unseren Anzügen in der Mittagshitze vergehen würden. Da professionelle Photographen die ganze Zeremonie begleiteten, kann ich mich darauf beschränken, hier nur Links anzufügen.
https://www.zola.com/wedding/eatdrinkgethammared
https://makeiteverlasting.com/meghan-austin/
Auf meinem Weg nach Kolumbien habe ich von Conneticut aus einen Abstecher nach Florida gemacht. Dort lebt Verwandtschaft von mir, Friedl und Rudi Rottmeier. Sie sind mit 90 Jahren hoch betagt, deshalb blieb auch nicht aus, dass wir ganz Ernstes besprochen haben. Während Friedl nicht an ein Weiterleben nach dem Tod glaubt, sagte Rudi, er freue sich schon auf die happy hunting grounds, wenn er dann sein Clydesdale Pferd hat und mit seinem Freund Winnetou und Old Shatterhand durch die Prärie streift. Ich habe die Chance genutzt, mir von den beiden ihr Leben erzählen zu lassen . Wir haben uns an einem Abend zusammengesetzt und von dem vielen geredet, was es zu erzählen gibt, wenn man auf 90 Jahre bewegtes Leben zurückblickt. Ein Exzerpt daraus findet ihr auf diesem Soundtrack. Wie sehr sich die Welt und das Reisen seither verändert haben, könnt ihr in dieser halben Stunde erfahren:
Von Daytona Beach sind es nur eineinhalb Stunden Fahrt nach Cape Canaveral und dem Kennedy Space Center. Ich bin immer noch von der Raumfahrt begeistert und war ja vor nahezu 30 Jahren hier monatelang tätig. Deshalb verzichtete ich auf einen Strandtag, packte Rudi ein und auf nach Süden. Die Amerikaner zelebrieren gerade das 50. Jubiläum der Mondlandung. Das mit Recht, es handelt sich um eine Sternzeit der Wissenschaft und der Technologie. Damals war ich mehr aufgrund meiner Bubenhaftigkeit begeistert, erfasse erst heute, was für eine Meisterleistung es war. Von Kennedys Mission Statement bis zur Umsetzung sind nicht einmal sieben Jahre vergangen, was heute undenkbar wäre. Was wir damals nicht erfuhren, wieviel auf dem Weg zum Ziel schief gegangen ist. Und nur durch Entschlossenheit, Mut, persönliche Opfer überwunden werden konnte. Die vielen tausend Leute haben als ein Team agiert und ihre persönlichen Belange dem großen Ziel untergeordnet. Heute weiß ich, dass diese Haltung die einzige unersetzbare Zutat für den Erfolg eines Projektes ist. Ich musste neben vielen Erfolgen auch Projektdisaster sehen, und immer, wenn es schief ging, lag es daran, dass das Team keins war.
Wenn alle zusammenhalten, werden die unausbleiblichen Rückschläge überwunden. Ein Beispiel, was man jetzt erst erfuhr, bei den Gemini Missionen, deren Hauptzweck die Erprobung von Rendezvous im Raum war, ist einmal Gemini 6 in unkontrollierbares Taumeln geraten, was die Astronauten, die ja alle kampferfahrene Testpiloten waren, in den Griff kriegten. Damit haben sie in erster Linie die Mission und das Vorhaben und erst in zweiter Linie sich selber gerettet. So waren die drauf. Oder die Tatsache, dass 2 Stunden vor dem Start von Apollo 11 im Kontrollzentrum festgestellt wurde, dass ein Ventil an der Saturn V leckte. Die Crew war schon in der Kapsel, und man hat zwei mutige Techniker an die Startrampe geschickt, die in den Schwaden von flüssigem Sauerstoff und Wasserstoff das Teil dicht kriegten und somit Armstrong, Aldrin und Collins auf den Weg zum Mond schickten.
Oder bei der dritten geplanten Mondlandung mit Apollo 13, als das öffentliche Interesse schon abgeflaut war und dann am zweiten Tag die Sauerstoff/Wasserstofftanks explodierten. Nach dem Ermessen Aller, die davon etwas verstanden, war das nicht nur das Ende dieser Mission und des Programms, sondern auch das Todesurteil für die Crew. Und dann kam der Mission Director, der deutschstämmige Eugene Francis „Gene“ Kranz und sagte nur fünf Worte: „Failure is not an option“ (Jahre später, im XMM – Projekt sagte der Projektleiter von der ESA immer „if you are bound for failure, better find another project“).
Darauf folgte eine Reise im havarierten Raumschiff um den Mond herum zurück zur Erde. Ein atemberaubender Krimi, den man sehr gut in dem gleichnamigen Film „Apollo 13“ nachspüren kann. Und, man bekam die drei Astronauten wohlbehalten zurück zur Erde, was alles andere als eine Selbstverständlichkeit war und heute noch als Lehrstück für die Überwindung von ausweglosen Situationen dienen kann.
Ein Besuch im Visitor-Center im KSC lohnt sich allemal. Man kann eine Rundfahrt zu allen Launchpads machen, man sieht das Vehicle Assembly Building, immer noch das größte Gebäude der Welt mit Türen, die 150 m hoch sind. Man sieht die Anstrengungen, die die Amis unternehmen, um wieder ein eigenes Raumfahrzeug zu kriegen, man kann die Original Launch Control Räume der Apollo und Gemini Missionen besichtigen, man kann in einen Simulator gehen, der einem ein Gefühl vermittelt, wie sich ein Start im Space Shuttle angefühlt haben muss, man kann die Trainingseinrichtungen der Astronauten erproben, und man kann mit einem Vortrag eines pensionierten Astronauten zu Mittag essen. Nicht zu vergessen das grandiose iMax Theater, in dem alle möglichen tollen Filme laufen. Die 70 $ Eintritt lohnen sich. Ganz besonders für mich, denn heute trägt Charlie Walker vor, den ich aus meiner Spacelab-Zeit noch kenne. Auszüge aus diesem abwechslungsreichen Vortrag über das Essen auf der Raumstation findet ihr in dem separaten Video. Außerdem nehme ich euch auf die Busrundfahrt mit.
Noch vor Sonnenaufgang verabschiede ich mich von meinen Gastgebern und fahre nach Orlando. Meine Versuche scheiterten, New York zu vermeiden und über Houston nach Bogota zu fliegen. Ebenfalls unmöglich war es, die Koffer durchzuchecken. Auch wenn sich der Angestellte von United Airlines bemüht hat, auf dem einen Ticket stand mein Name mit dem Zusatz Mister, auf dem anderen nicht. Grund genug, dass die Travel Security Agency mich als zwei Personen betrachtet und ich meinen Koffer in New York vom Band nehmen muss und erneut die ganze Prozedur durchziehen muss. Zum Glück habe ich wenigstens genügend Zeit, aber Reisen in den Vereinigten Staaten ist kein Spaß mehr. Und das kenne ich aus den Zeiten, als ich hier zu tun hatte, ganz anders. Wenn der Terrorismus auch sonst nicht viel bewirkt hat, hier hat er ganze Arbeit geleistet.Dabei habe ich das Schlimmste noch vor mir. Für den Nachmittag sind Gewitter angesagt, und mein Flug nach Bogota ist um 5:10 Uhr nachmittags. Mir schwant Übles, mein Flug nach Orlando vor ein paar Tagen hatte aus diesem Grund 5 Stunden Verspätung. Und es fängt genauso an. Zuerst werden wir am Gate informiert, dass der Abflug eine halbe Stunde später ist. Boarding ist dann tatsächlich 1 Stunde später, und dessen Ablauf demonstriert eindringlich, wie umständlich und ineffizient dieses Land geworden ist. Ich nehme im Flieger neben zwei chassidischen Juden Platz,sie heißen mich „mit offenem Herzen willkommen“. Ich nehme mir vor, möglichst wenig zu sagen und meinen Akzent zu verbergen. Ist mir glaube ich auch für die nächsten (ich nehme es vorweg) 9 Stunden ganz gut gelungen… Dann kommt die erste Ansage vom Flight Deck, an deren Tonfall man gleich hört, dass es keine gute Nachricht ist. Der Captain sagt, aufgrund des Wetters müsse leider eine weitere Verzögerung angekündigt werden, er schätze, dass wir in einer halben Stunde aber vom Hof kommen. Ich sage zu meinen Nachbarn, dass ich das in 100 Jahren nicht glaube, sie antworten, der müsste das sagen, weil die Passagiere gerne angelogen werden, und sie schieben nach „Welcome to New York“. Es folgen weitere Beschwichtigungen, die sich alle als haltlos herausstellen, um 8:00 Uhr kommt die Nachricht von Flight Deck, dass sich wegen des Gewitters auf dem Flughafen Newark gar nichts mehr bewege, dass man jetzt zum Sparen von Treibstoff die Triebwerke abstelle, und dass im übrigen 28 Flieger vor uns sind. Und dann fügt dieser Captain noch hinzu , dass er schätze, dass wir in einer Viertelstunde abheben. Meine Nachbarn und ich freuen uns über diese beste aller Falschmeldungen, offensichtlich verstehen sie auch für ein Fünferl etwas vom Fliegen und beherrschen den Dreisatz. Wir fügen uns in unser Schicksal und bestellen uns für teuer Geld ein Bier. (Habe anschließend nachgekuckt, der Genuss von Alkohol ist den streng gläubigen Juden nicht untersagt, ich kann das also hier ruhig berichten)
Tja, ich erspare euch, die jetzt folgende Quälerei in allen Einzelheiten zu berichten, und gebe nur das Ergebnis bekannt. Ankunft um 2:00 Uhr morgens in Bogota, um 3:00 Uhr stehe ich dann in der Empfangshalle. Wieder satte 5 Stunden Verspätung, mein Fahrer ist nicht da und dafür ein Dutzend zwielichtige Gestalten, denen ich nicht einmal einen Kaugummi abkaufen würde, die einem aber mit dem harmlosesten Gesichtsausdruck eine Taxifahrt anbieten.
Ich telefoniere mit der Agentur, immerhin geht einer ans Telefon, aber es dauert unendlich, bis er meine Bestellung findet. Zwischenzeitlich kommt mit einer halben Stunde Verspätung und Schlaf in den Augen mein Fahrer, und ich lege auf. Um vier bin ich dann endlich im Sheraton. Man serviert mir Cevice, das peruanische Nationalgericht; da ich bis auf die unsägliche Pappdeckelmahlzeit im Flieger seit dem Frühstück nichts gegessen habe, werfe ich meine Bedenken über Bord und verschlinge den rohen Fisch. Immerhin bin ich in einem Fünf Sterne Hotel und es schmeckte sehr gut und musste auch nicht am folgenden Tag bereut werden.
Nach einigen Irritationen holt mich nach einem kurzen Inlandsflug Ceci, eine Freundin von Franz, am Flughafen von Popayán ab. Wie bei meinem letzten Besuch vor immerhin 29 Jahren sind die Straßen voll buntem Leben, nur, der Verkehr hat gewaltig zugenommen. Viele tragen zum Schutz vor vor Staub und Dieselruß Atemschutzmasken. Die zu Hause geführte Feinstaubdiskussion würde hier allerhöchste Verwunderung auslösen. Wir fahren auf das Grundstück der Finca und ich betrete über die Küchentür das Haus. Es ist ein großes Hallo, und wir sitzen trotz meiner Übernächtigkeit erzählend und lachend lange am großen Tisch.
Wie kommt es, dass ich hier in Süd-West-Kolumbien gelandet bin? Ich besuche einen Schulfreund aus der zehnten Klasse. Franz war damals von der Strömungsdynamik moderner Flugzeuge und von indianischen Welten fasziniert. Letzteres hat gewonnen. Während wir brav die Schulbank drückten, reiste er schon monatelang durch Südamerika, um dann kurz vor Schulschluss alle Prüfungen nachzuholen. Albtraum eines jeden Gymnasiallehrers. Ähnlich machte er dann an der Uni weiter, schließlich hatte er Frau und zwei Kinder und war Professor für Ethnologie in Leipzig und pendelte zwischen den Welten. Eine heimtückische Krankheit zwang ihn dann in den Ruhestand, seit 1997 lebt er ganz in Kolumbien. Ein weiterer Schicksalsschlag ereilte ihn dann vor 13 Jahren, als seine geliebte Frau Cecilia starb.
Seitdem lebt er auf der noch von Cecilia gebauten „Finca Bavierita“ oberhalb von Popayán, in einer durchaus ländlichen Umgebung.
Rund um die Uhr sind Betreuerinnen anwesend, weil die ab und zu ihre Kinder Nichten etc. mitbringen, und auch zum Teil andere Verwandte beschäftigt werden, und auch der Sohn und dessen Freundin hier wohnen, kann man durchaus von einem Mehrgenerationenhaus sprechen. Es ist immer was los hier, so viel, dass es einem manchmal zu viel wird.
Zusätzlich hat Franz einen enorm großen Freundeskreis, und nachmittags schauen immer welche vorbei. Bis auf die obligate Nachrichtenviertelstunde in der deutschen Welle (in Spanisch, also auch nichts zur Erholung) ist der Medienkonsum gleich null. Stattdessen werden die Ereignisse des Tages oder andere Fragen diskutiert, wobei mancher Blödsinn nicht nur zugelassen, sondern sogar erwünscht ist. Alle honorieren meine Bemühungen und erklären mir geduldig sprachliche Feinheiten.
Wie sieht das Leben auf der Finca Bavarieta aus? Schon bei der Ankunft sieht man die Hühner, die überall ums Haus herum laufen (und im Haus herum). 2-4 Hunde leben auch hier, so genau weiß man das nicht. Mit Unterbrechungen ist das Haus an die öffentliche Stromversorgung angeschlossen, gekocht wird mit Gas, bei so einer Propanflasche weiß man, was man hat. Im Garten wachsen Bananen, Avocados, Zitronen, Orangen etc. Am Morgen kommen Paradiesvögel zu Besuch, aber nur, wenn wir nicht vergessen haben, Futter auszulegen. Ab und zu gibt es ein Erdbeben, was keinen aufregt. Auch wenn sich in der Nachbarschaft mittlerweile andere angesiedelt haben, gibt es noch eine Rundumsicht auf die West- und auf die Zentralkordilliere. Nachteil ist, dass es zu Fuß recht weit in die Stadt ist. Macht aber eigentlich gar nichts, weil die interessanten Leute hier herkommen, nicht nur aus Popayán, sondern aus ganz Südamerika (keine Übertreibung). Der Vorort nennt sich „Vereda Paraiso“, Wenn man von kleinen Unzulänglichkeiten absieht, ganz zu Recht.
Ich beziehe mein Quartier, das von Franz nicht mehr genutzte Arbeitszimmer, und als ich auf dem Tisch meinen Laptop aufbaue, höre ich von hinten ein bekanntes aber nicht vertrautes Geräusch. Ich habe mich gestern Abend noch über den mit Samt ausgekleideten Karton gewundert, jetzt wird mir klar, wozu er dient.
In diesen samtausgekleideten Karton sitzt ein Huhn, sichtlich irritiert von dem Kerl, der da plötzlich eingedrungen ist. Von jetzt ab verzichte ich auf hektische Bewegungen beim Auspacken und nehme mir vor, demnächst die Muchachas zu fragen, ob von mir friedliche Koexistenz verlangt wird. Als ängstlicher Westeuropäer weiß man ja, dass die Grippe von Hühnern verbreitet wird, und ist deshalb nicht auf allzu engen Kontakt erpicht. Die Damen des Hauses lachen furchtbar, als ich sie darauf anspreche, und verbannen die Eierproduktion nach draußen. Das führt allerdings zu enormen Irritationen bei den Hühnern, die mich noch tagelang aufsuchen und desorientiert auf das Sofa flattern, obwohl ja da der Samtkarton gar nicht mehr da ist. Später erzählt mir Franz, dass die Hühner weniger dumm sind, als ich glaube. Er belegt es mit der Tatsache, dass die Hühner immer gegen die rabo de aji obsiegen.Das ist die giftigste Variante aus der Familie der Korallenschlangen, die ihre Feinde dadurch verwirrt, dass Kopf und Schwanz gleich breit sind und sie mit dem Schwanz Bewegungen macht, die andere Schlangen mit dem Kopf machen. Die Hühner sind aber schlau genug und lassen sich davon nicht täuschen. Genauso schnell wie sie picken, wenn sie ein Korn sehen, erwischen sie die Schlange am richtigen Kopf. Franz meint noch, dass ich im übrigen froh sein könne, dass der Hahn, der übrigens Don Claudio genannt wird, dass dieser Herr über 15 Hühner sei, weil wir dadurch in diesem Haus relativ unbesorgt leben könnten und zudem frische Eier im Überfluss hätten.Dies führt zu einer vollständigen Rehabilitation der Hühner meinerseits, wobei ich dennoch jegliche Versuche unterbinde, mein Bett als Legestätte umzuwidmen.
Dona Organizatodo hat heute Geburtstag, und Dona Encontratodo morgen. Die Familien kommen zur Feier in die Finca Bavierita. Spanisch Intensivkurs pur. Und man macht mich mit dem Original-Festgericht bekannt, das zu solchen Anlässen serviert wird: Lechones, Spanferkel mit Blutwurst…Esse ich nicht ganz auf.
Dona Curatodo hält eine rührende Ansprache zu Ehren der beiden.
Jeden Tag kommen Freunde zu Besuch, meistens Wissenschaftler oder Studenten der Universität Cauca. Man spricht über die Schönheiten des Landes, Tagesereignisse, oder tauscht Erinnerungen auf. Heute kommen wir auf das mit Unterstützung von Deutschland eingerichtete Naturparadies Chiribiquete. Das wird bei uns keiner kennen, deshalb haben wir dazu einen Podcast gemacht (wenn ich später Muße habe, gibt es eventuell ein kleines Video in pic's n clips).
Wer lieber liest, hier ist der Text:
Chiribiquete
so heißt eine bis in die achtziger Jahre völlig abgelegene und deshalb vergessene Region in Südost-Kolumbien. Nur ganz interessierte und mutige Menschen, wie zum Beispiel der berühmte Geograph van der Hamen haben sich in diese Gegend gewagt. Der Name ist aus dem Quächua ableitbar und bedeutet soviel wie "Kälte erzeugende Wildnis". Damit ist eigentlich schon alles gesagt und auch erklärt, warum dieser Landstrich bisher in Frieden gelassen wurde. Damit das auch so bleibt, hat sich eine Gruppe von engagierten Geologen, Geographen, Ökologen und Anthropologen dafür eingesetzt, dass es zum Nationalpark erklärt wird.
Worum handelt es sich bei diesem Gebiet, wie kann man es am besten kurz und einprägsam beschreiben? Man stelle sich das Monument Valley vor, das ja eines der bekanntesten Naturphänomene Nordamerikas darstellt. Deren geologische Entstehungsgeschichte ist durchaus vergleichbar. Der Unterschied ist, dass das Monument Valley trocken gefallen ist, während im Chiribiquete der tropische Regenwald alles überwuchert.
Im Chiribiquete findet man die gesamte amazonische Fauna nahezu ungestört vor: Jaguars, Anacondas, bis zu 7 m lange Kaimane, Harpien, die größten Adler des Kontinents, Guacamayas, die buntesten Paradiesvögel des Kontinents, viele Affenarten... Die Flora ist ungeheuer vielfältig, was eine Aufzählung von vornherein vergeblich macht, und ganz gewiss gibt es noch viele unentdeckte Arten, die sich im Chiribiquete verstecken.
Das Landschaftsbild ist von Bergstöcken mit senkrecht abfallenden Wänden geprägt, die Tepuis genannt werden. Die höchsten Tepuis im Chiribiquete überragen die umliegenden Ebenen bis zu 1000 Meter, wobei die senkrechten Wände bis zu 800 Meter hoch sein können. Die charakteristische Form dieser Tepuis entsteht durch die tropische Verwitterung. Sie ist am Wandfuß höher als weiter oben, ganz einfach deshalb, weil die Temperaturen am Boden höher sind und damit die Verwitterung intensiver ist. Durch Abbruch des dadurch entstehenden überhängenden Gesteins entstehen diese senkrechten Felswände. Auf den Gipfelplateaus dieser Tepuis hat sich eine endemische Flora und Fauna entwickelt. Diese Hochebenen sind mit die unzugänglichsten Gebiete der Welt. Hubschrauberpiloten weigern sich, dort zu landen, weil eine Rettung oder gar Bergung des Hubschraubers im Havariefall unmöglich ist. Man kann also ruhig von einem Unzugänglichkeitspol sprechen.
Aber auch das Gebiet der Ebenen um die Tepuis herum ist kaum zu erreichen. Lediglich im Randgebiet des Nationalparks gibt es zwei Landepisten, Straßen gibt es keine. Die Flüsse sind nicht schiffbar, da es viele Stromschnellen und Canyons gibt. Eine polnische Truppe aus exzellenten Paddlern musste erfahren, dass selbst mit wendigen Kajaks und bestem technischen Können hier kein Weiterkommen ist. Sie mussten mit dem Satellitentelefon um Rettung rufen.
Ein weiterer Beleg für die Unzugänglichkeit und Wildnis ist das Tagebuch, das als einziges Überbleibsel von einem Abenteuerer gefunden wurde, der sich in diesem Urwald verlaufen hatte. Der letzte Eintrag lautet „Übergebt meine Seele dem Teufel“.
Dabei ist das Gebiet nicht unbewohnt. zumindest drei verschiedene Gruppen leben in dieser Gegend, wie man aus Überflügen mit dem Hubschrauber beobachten konnte. Sie vermeiden aber jeglichen Kontakt mit der Außenwelt. Man weiß über diese Menschen nahezu nichts. In einer benachbarten, ähnlich unzugänglichen Region, leben die sogenannten „nukack macu“. Sie sind die einzigen Wildbeuter im Wald. D.h. sie leben nicht wie alle anderen im Amazonas vom Anbau von Maniok an den Flussläufen, sondern betreten das Innere der Wälder als ihren Lebensraum. und leben ausschließlich von der Jagd und der Sammeltätigkeit in den Wäldern. Man kann annehmen, dass die drei Volksgruppen im Chiribiquete ebenfalls reine Jäger und Sammler sind.
Dabei war das Chiribiquete schon vor langer langer Zeit von Menschen bewohnt. Davon zeugen Felszeichnungen in einer bestimmten Region, die als "Sixtinische Kapelle des Chiribiquete" bezeichnet wird. An die 600.000 Felszeichnungen sind an teilweise überhängenden Felswänden gemalt worden. Nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen sind diese Zeichnungen an die 12000 Jahre alt. Zum Teil bestehen sie aus geometrischen Mustern, zum Teil aus Darstellungen von Tieren. Dabei ist besonders das Motiv des Jaguars vertreten, der als großes, schnelles und starkes Tier eine der größten Gefahren im Dschungel war.
Rembrandt signierte mit seiner Unterschrift, die Paleo-Indianischen Künstler signierten mit ihrer Hand. Eine Zeichnung stellt ein Lama dar. Das darf ruhig als Beleg dafür genommen werden, dass es zu Lebzeiten des Künstlers hier Lamas gab, was wiederum darauf schließen lässt, dass zu dieser Zeit völlig andere klimatische Verhältnisse herrschten. Man weiß, dass ein Lama alles ertragen kann, bloß keine Feuchtigkeit. Damit läßt sich folgern, daß die Gegend vor 12000 Jahren semiarid war und ähnlich ausgesehen haben könnte wie heute das Monument Valley. Unklar ist, wie diese Zeichnungen an diese Stellen gemalt wurden, denn selbst die besten Sportkletterer scheitern heute an der Schwierigkeit dieser Steilwände.
Aber auch dieses letzte verbliebene Paradies ist trotz seiner Abgeschiedenheit nicht frei von Bedrohungen. Sie gehen vorrangig von vorrückenden Viehzüchtern und Goldsuchern aus. Auch der Anbau von Coca ist eine Versuchung für den einen oder anderen, der sich nicht auf die Finger schauen lassen will.
Ab und zu gleiten wir ins philosophische ab. Franz äußert, ganz Katholik aus dem tiefsten Oberbayern eine radikale These. Wer die Bibel übersetzt und auch noch will, dass sie alle lesen, richtet mehr Schaden an, als alle Armeen dieser Welt.Auch hierzu wird es einen multimedialen Beitrag geben, den ich dann mache, wenn ich Zeit habe.
Zeit für einen Ausflug. Im Süden von Popayán gibt es einen kühnen Vulkanstumpf, der mit rundum senkrechten Wänden aus der Umgebung ragt, an sich nichts Besonderes in dieser Gegend, aber aufgrund seiner Form eben doch. Franz organisiert Don Transportador, der ein Auto hat und mit mir dorthin fährt. Es geht auf der Panamericana nach Süden, um den Cerro Lerma zu sehen. Lustig sind die Straßenschilder, die den Mopedfahrern verbieten, im Zickzack durch die Staus Popayáns zu reiten. Aber immerhin, jeder trägt einen Helm, auf dem das gleiche Kennzeichen ist wie auf dem Nummernschild. Wir fahren auf der Panamericana. Das ist die Straße, die von Alaska bis Feuerland geht, so eine Art Hauptschlagader des amerikanischen Kontinents. Früher war es unter Globetrottern Mode, diese Straße von ganz oben bis ganz unten zu fahren. Das hat aber stark nachgelassen. Insbesondere Radfahrer sieht man keine mehr, wohl wegen der vielen Lastwagen, die enorm Staub aufwirbeln und von sich aus schon Dieselschwaden ausstoßen. Ich nehme mir vor, zukünftig Staubschutzmasken zu tragen (am Abend in die Tat umgesetzt, zehn Stück für 50 Euro-Cent). Und was nicht alles transportiert wird. Interessant ist auch, dass immer wieder Peugeot und Renaults niegelnagelneu in Richtung Equador gefahren werden. Grund ist, dass beide französischen Hersteller in Kolumbien produzieren, aber der Absatzmarkt in Ecuador liegt. War zur Zeit der Errichtung dieser Fabriken genau andersrum. Ganz Kolumbien ist ein Vulkan, im sprichwörtlichen und im übertragenen Sinn. Wir reden von der wichtigsten Straße des Landes, und der Staat schafft es nicht, diese Straße geteert zu halten, da ständig Erdrutsche wieder alles zunichte machen. Der Boden ist Vulkanbreckzie hier, das ist bei Eruptionen locker aufgeschüttetes vulkanisches Material, das nur ganz gering zusammenhält und bei dem leichtesten Regen ins Rutschen gerät.
Was auch auffällt, sind die Flüchtlinge aus Venezuela, die am Straßenrand Richtung Süden marschieren. Das sind junge Männer, aber auch ganze Familien mit kleinen Kindern. Franz sagt, dass das der ehemalige Mittelstand des Landes ist, der aufgrund der Miserie im Land anderswo sein Glück sucht. Immerhin geschätzt 1,4 Millionen Venezolaner sind im Land unterwegs, bemerkenswert bei insgesamt 40 Millionen Kolumbianern. Die Einwohner, die oft selbst nicht viel haben, verhalten sich recht solidarisch. Man spendiert Essen, eine Übernachtung, und Don Transportador hat Ihnen auch Geld zugesteckt. Allerdings verschlechtert sich die Lage, seit einiger Zeit verlangt Ecuador ein Visum, und manche Venezolaner versuchen, sich in Kolumbien niederzulassen, was regelmäßig zu Konflikten und sogar Mord und Totschlag führt. Diese Woche eskalierte die Lage weiter, die Kolumbianer haben an der Grenze zu Venezuela Truppen aufmarschieren lassen und beide Seiten rasseln kräftig mit den Säbeln. Letztendlich alles eine Folge der künstlichen Ölpreis-Verringerung, eigentlich sollten damit die Russen in die Knie gezwungen werden, aber erwischt hat es Venezuela, quasi ein Kollateralschaden, aber auch nicht ganz, denn Maduro ist nicht gerade ein Freund des Weißen Hauses und umgekehrt. Zu mal er jetzt auch Teilen der kolumbianischen Guerrilla Unterschlupf gewährt.
Heute früh kommt über den kolumbianischen Nachrichtendienst Redmas eine SMS auf mein Telefon: die Guerilla hat angekündigt, den Kampf wieder aufzunehmen. Dabei haben sie gerade erst die Waffen niedergelegt. Die Angelegenheit wird hier sehr leidenschaftlich diskutiert.
Ich habe schon zahlreiche Einladungen von Franz erhalten. Das lehnte ich immer ab, seit ich 1990 schon einmal hier war und mich nicht sehr wohl gefühlt habe-die Bedrohung war allenthalben zu spüren. Vor einem Jahr hat nun die Guerilla mit der Regierung Frieden geschlossen und die Waffen abgegeben. Und die Lage hat sich entspannt. Schon vor meiner Abreise hat sich aber angedeutet, dass diesem Frieden nicht zu trauen ist.
Diverse Berichte in ARTE
https://www.arte.tv/de/videos/074734-000-A/kolumbien-der-krieg-danach/
https://www.youtube.com/watch?v=_5vwCo9AAFA
zeugen davon, dass durch das Niederlegen der Waffen ein Vakuum entstanden ist, dass die Ultrarechte aufgefüllt hat. Als Reaktion darauf hat sich die Guerilla neu formiert, von Maduro aus Venezuela Unterschlupf erhalten und eine neue Kriegserklärung formuliert. Allerdings sagten sie, dass sie Soldaten und Polizisten in Ruhe lassen und nur die Politiker angreifen wollen.
Heute ist Waschtag. Ich sehe wie Dona Todolimpio meine Wäsche unter den Arm nimmt und im Betontrog mit der Hand wäscht. Ich schlage vor, dass man eine Waschmaschine besorgen könnte, diese Idee wird dankend aufgegriffen. Bei der Gelegenheit hole ich mir gleich auch noch eine Matratze.
Besuch mit Don Transportador in der Altstadt, wunderschöner Kolonialstil. Interessant ist die noch aus der Kolonialzeit erhaltene „Puente de humilladores“. Die Conquistadoren haben über den Fluss zwei Brücken gebaut: eine für sich selbst, alles überragend, und eine für ihre Untertanen, wesentlich kleiner und niedriger. Die Brücken stehen heute noch da. Gleich dahinter beginnt das Barrio Bolivar, In dem man sich als Mitteleuropäer besser nicht blicken läßt. Sehr empfehlenswert ist in Popayán auch das Naturkundemuseum mit zahlreichen Dioramen und vielen Tieren aus der Gegend.
Endlich Zeit für das Tagebuch. Bin fast en jour.
Heute kommt Juan zu Besuch. Er berichtet von seinen Plänen, den Alpamayo zu besteigen. Wir holen alle Bildbände hervor und besprechen Anstiegsrouten und -zeiten, beste Jahreszeit und Ausrüstungsfragen.
Heute ist Markt in Silvia. Das ist der Hauptort in einem Indianerreservat nördlich von Popayán. Don Transportador hat schon letzte Woche vorgeschlagen, dass wir zusammen dort hinfahren sollten. Franz gibt zu bedenken, dass das ein stark touristisch verdorbener Ort sei, und er überhaupt nichts von Indianertrachten halte. Da hätte er in seiner Heimat Garmisch-Partenkirchen schon eine Überdosis genossen und drum wäre er gegenüber diesen „Lederhosenindianern“ äußerst skeptisch. Ich lasse es dennoch auf einen Versuch ankommen und steige um 8:00 Uhr in den Wagen von Don Transportador. Schon die Anfahrt ist ein Genuss, sie führt nur ganz kurz über die Panamericana und biegt dann nach rechts auf eine wenig befahrene Nebenstraße ab. Es geht immer weiter nach oben, der Ort Silvia liegt auf 2400 m. Die Luft ist frisch und klar, wir haben heute eine fantastische Sicht auf den Vulkan Purace und auf den Vulkan Sotará, die sich beide ausnahmsweise nicht hinter Wolken verstecken. Die Gegend ist dünn besiedelt und wird von ihren Bewohnern als die Schweiz Kolumbiens bezeichnet. Das greift meiner Ansicht nach ein bisschen zu hoch, aber im Ansatz stimmt es schon. Auf dem Hauptplatz von Silvia tobt das Leben. Eine Schülerband trägt ihr Repertoire vor, und es macht gar nichts, dass der eine oder andere schräge Ton dabei ist. Fliegende Händler bieten alles Mögliche an, sie ziehen Einkaufsroller hinter sich her, die voll überladen sind, und da der Lärmpegel hier eh schon sehr hoch ist, sind sie gezwungen, ihre Waren vom Tonband aus anzupreisen, weil sie sonst überhaupt nicht mehr durchkommen würden.Also ein Verstärker und ein Lautsprecher sind noch oben auf das Sortiment darauf gepackt. In einer Ecke sitzen Trachtenindianer und leeren fröhlich Aguardiente, was für die frühe Zeit, es ist 9:30 Uhr, schon bemerkenswert ist. Überall stehen die Chivas, das Rückgrat der kolumbianischen Wirtschaft, gleichzeitig gut für Personen- und Warentransport. Es handelt sich um alte Chevrolet, also amerikanische Lastwägen aus den fünfziger und sechziger Jahren, die mit Holzaufbauten versehen wurden, in denen die Passagiere Platz nehmen. Da hier keiner ohne Gepäck verreist, werden Waren alle Arten auf dem Dach platzsparend geschlichtet. Ich habe heute sogar ein Schwein quieken gehört, das irgendwo zwischen Kartoffeln und Reissäcken verstaut wurde. Ich könnte hier stundenlang zuschauen, und es wäre keine Sekunde langweilig. Wenigstens eine Viertelstunde sitzen wir auf einer Bank und beobachten das Treiben. Selbst das beste Theaterstück wäre nicht im Ansatz so kurzweilig wie die Show, die hier geboten wird. Danach gehen wir in die Markthallen, ja es sind wirklich mehrere. Seit ich hier bin, bin ich begeistert von all den tropischen Früchten, die hier zu haben sind. Wenn ich in einem Markt bin, gehen alle Pferde mit mir durch und ich vergesse mich völlig. So ist es mir auch heute gegangen. Wir waren an einem Stand mit einer paradiesischen Vielfalt, und die Geschäftsmäßigkeit der Händlerin tat ein übriges. Wir verließen die Markthalle mit zwei Kartons voll mit exotischen Früchten. Die waren so schwer zu tragen, dass ich sie am Boden abstellte und Don Transportador den Wagen zu holen bat, damit wir Die Beute auf dem Rücksitz verstaue konnten, ohne sie durch das Gewimmel schleppen zu müssen.
Am Rande von Silvia liegt ein künstlicher See, der einmal als Naherholungsgebiet diente. In der Nähe gibt es einen Verleih von Reitpferden, die frei in der Gegend herumlaufen und das gesamte Ufer des Sees begrasen und das Stoffwechselprodukt praktischerweise gleich ebenfalls zurücklassen. Jedenfalls ist der See eutrophiert und wegen der Trockenheit auch nahezu leer. Don Transportador ist darüber sehr traurig.
Wir gehen zum Mittagessen in das Hotel Restaurant Silvia. Dort sind Reparaturen am Dach im Gange, deshalb nehmen wir an einem Tisch am Rande Platz. Das Essen ist gut und reichhaltig, ich kann es dennoch nicht genießen, weil ich voll auf die Wirkungsstätte der Handwerker blicke. Das bereitet mir nahzu körperliche Schmerzen, denn in meinem Beruf war ich auch für die Arbeitsicherheit verantwortlich. Und was ich hier sehe, lässt mir die Haare zu Berge stehen. Eine circa 5 m hohe Leiter ist auf einem Bambustisch aufgestellt. Damit der Arbeiter bis zum Dach hin reicht, ist sie in einem sehr steilen Winkel aufgestellt. Von oben hängen diverse Seile und Schnüre auf die Sprossen der Leiter herab, und damit die zu reparierende Stelle im Eternitdach ordentlich mit der Flex durchtrennt werden kann, beugt sich der Arbeiter weit nach rechts. Der Restaurant Besitzer kümmert sich wenig um uns Gäste, sondern gibt von unten kontinuierlich und intensiv Ratschläge, wie die Arbeiten am besten durchzuführen sind. Fazit: Für Sicherheitsingenieure tut sich in Kolumbien ein weites Feld auf. Wer diesen Job ernst nimmt, sollte aber keinesfalls sein Mittagessen wie ich unter Darbietung einer solch abenteuerlichen Aktion einnehmen, wenn er nicht magenkrank werden will.
Wir zahlen schnell die Rechnung, weil ich an der Grenze meiner Belastbarkeit angelangt bin und fahren weiter flussaufwärts zu einem Fischteich, in dem wir selber angeln dürfen. Don Transportador zieht sechs Forellen aus dem Wasser, dafür ich gar keine. Der Schnitt von drei pro Kopf ist aber immer noch gut. Wir beeilen uns mit der Rückfahrt, damit die Forellen schnell in den Kühlschrank beziehungsweise in die Tiefkühltruhe kommen.
Dona Organizatodo und ihre Nichte nehmen mich auf ihren Morgenspaziergang mit. Wir kommen bis ans Ufer des Rio Cauca. Stacheldraht, Bachüberquerungen, Hunde und Lastwagen aus dem Steinbruch, ein Abenteuer am Anderen.
In der Früh packt mich der Ehrgeiz. Ich rolle die Yogamatte aus und mache mit dem Theraband (mitgebrachter Kraftraum, platzsparend und leicht) Übungen. Fühlt sich gleich besser an danach. War schon ein bißchen eingerostet. Anschließend lädt mich Dona Organizatodo mit Carina auf einen Waldspaziergang ein. Da sei kristallklare Luft und viele Radfahrer, deshalb lasse ich meinen Staubschutz in der Casita. Voller Freude verlasse ich die Zufahrt zum Steinbruch, ab jetzt keine Lastwagen mehr! Es geht immer höher und bald sind wir im Wald, es ist allerdings eine Eukalyptus-Pflanzung und gehört "Carton Colombia". Als ich mich sicher fühle, hören wir entfernt ein Motorengeräusch, das auch noch näher kommt...
Und Tatsache, ein Riesenlaster beladen mit Baumstämmen fährt Caracho an uns vorbei und wir sind sage und schreibe 5 Minuten im dicksten Staub...Jetzt weiß ich, warum die Mountainbiker hier alle Staubmasken und Skibrillen tragen.....Der Waldboden ist aufgrund der langen Trockenheit zu Pulver zerfallen, und jedesmal, wenn die Hunde um uns tanzen, gibt es neue Wolken. Aber es ist trotzdem schön hier, weshalb es auch ein Erholungsgebiet für Popayán zu sein scheint. Zurück im Haus weist mich Franz auf ein Wolkenbild hin, das nach Ansicht der indigenen Bevölkerung ein Vorbote eines Erdbebens sei.
Ich frage, ob er daran auch glaube, und er antwortet, daß er schon oft diesen Zusammenhang gesehen habe. Mein Hinweis darauf, daß wir auf einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium waren, fruchtet nichts. Nun habe ich ja auch noch später in der Uni als Geophysiker durchaus viel über Erdbeben gelernt, aber diese Theorie geht mir zu weit. Daß die Chinesen behaupten, das Verhalten der Tiere ließe Prognosen zu, das wäre ja noch einsichtig. Hat aber auch noch nie geklappt...Trotz aller Ablehnung gehe ich aber die nächsten zwei, drei Tage in kein Gebäude auf Säulen (hat man in den 80gern in Friaul bei dem großen Beben gesehen, daß die zusammenfallen wie nichts, wenn das Beben hauptsächlich aus Transversalwellen besteht). Man weiß ja nie ganz genau und sicher ist sicher.....
In der Früh kommt Don Transportador vorbei. Ich habe ihn vor ein paar Tagen gefragt, ob er ein, zwei Wochen Zeit habe, ich wolle mal raus das Land anschauen. Zufällig passt es gerade und wir vereinbaren eine kleine Rundreise. Allerdings sind mir dann 3600 km bei diesen Straßen dann doch zuviel, wir kürzen auf 2400km, und lassen die Region Tolima weg, die zwar extrem sehenswert wäre, aber zuviel Fahrerei bedeutete. Wir vereinbaren einen Preis und den Starttag Dienstag, 8:00h. Ich solle eine Jacke mitnehmen, auf dem Paramo, das ist eine Hochebene, werde es kalt sein....Die Route ist aus dem Kopf gezeichnet und zwar auf eine Serviette, geht auch.
Am Abend kommt mit viel Hallo die Familie von Dona Organizatodo. Grund ist der Geburtstag der Tochter, die heute 16 wird. Zunächst gibt es Kuchen und das Geburtstagskind darf die Kerze ausblasen. Dann singen wir alle auf Spanisch das Geburtstagslied und zählen bis 16. Und anschließend gibt es einen voll beladen den Teller mit Reisfleisch. Die Männer sitzen alle abseits in den Sesseln und schauen Fußball. Die kleinste, Mariana, kommt aus dem Fernseheck und sagt am Tisch der Opa (selbstverständlich handelt es sich dabei nicht um den biologischen Opa) muss schwanger sein, weil er so einen Bauch hat. Ich trage weiter zur Aufheiterung bei, weil ich darüber Erkundigungen einhole, was konsequenterweise über meinen Zustand festzustellen sei. Anschließend werden alle mit allen zusammen in allen möglichen Kombinationen fotografiert. Ein schöner Geburtstag und eine schöne Überraschung.
...liebend, ohne es zu wollen! Dieses Idiom muss ich mir merken, weil ich das wohl häufig anwenden werde können. Es beschreibt eine Situation, in die man unversehens geraten kann Und in der man dann gute Miene zum bösen Spiel machen muss. Der Anlass für diesen lockeren Ausspruch von Franz ist die Rund-um-die-Uhr-Präsenz eines kleinen Jungen in seinem Haus, nennen wir ihn Pablito. Dieser Bub kommt aus einem der umliegenden Häuser, und es scheint so zu sein, dass sich seine Eltern um vieles kümmern, nur nicht um ihn. Im Grunde ist er ganz nett, aber wegen seiner mangelnden elterlichen Aufmerksamkeit könnte man ihn durchaus als verhaltensauffällig bezeichnen. Das äußert sich so, dass er häufig recht laut ist, unruhig, mit Spielsachen herumwedelt und mit den Kindern im Haus lautstark herum tobt. Das nervt alle, auch die Doñas. Dennoch sind sie ihm gegenüber sehr wohlwollend, fast zärtlich. Sie beziehen in mit ein, nehmen ihn ernst und sagen kein schlechtes Wort über ihn. Sie bieten ihm auch regelmäßig zu essen an, was er aber regelmäßig ausschlägt mit der Bemerkung, dass er heute schon genug agua panela (Zuckerwasser) getrunken hat. Es scheint die einzige Ernährung zu sein, die er erhält, was man auch ain dem Zustand seine Milchzähne erkennen kann. Die Attitüde gegenüber dieser kleinen Nervensäge adelt die Frauen im Haus. Sie gibt auch einen guten Einblick in die kolumbianische Gesellschaft, die man als Tourist unter seinesgleichen, von einem Hostel zum anderen ziehend, kaum erhalten kann. Die Frauen in diesem Land sind der einzig stabilisierende Faktor, der Locombia (spielerischer Wortdreher, loco heißt auf Spanisch verrückt) vor dem Absturz ins totale Chaos bewahrt. Ich habe sie kennen gelernt als gewissenhaft und zielstrebig. Und dabei haben sie auch ein großes Herz. Was nicht heißt, dass sie den Väter ihrer Kinder nicht beizeiten den Laufpass geben, wenns Ihnen zu dumm wird. Dann beißen sie sich lieber alleine durch, allein erziehende Mütter sind hier die absolute Regel. Die Männer wissen auch, dass ihr Gastspiel begrenzt ist, manche verkraften das nicht und suchen Trost im Aguardiente. Regel Nummer eins, sagt Franz, wenn du in diesem Land irgendetwas erreichen willst, wende dich gleich an die Frauen.
Wir sind pünktlich um Acht weggekommen und nach einigen Erledigungen in Richtung Huila aufgebrochen. Die Fahrt geht über die Zentralkordilliere, in einer Höhe von 3100 m wird der Paramo überquert. Das ist eine Hochebene, die aufgrund der großen Höhe immer im Nebel ist. Dort Ist keinerlei Bewirtschaftung möglich, entsprechenden menschenleer ist die Gegend. Zum einen dominiert dort auf den weiten Flächen der Fraleljon , weiter oben der so genannte feuchte Wald oder Bosque de Nebula oder Bosque humedor. Dieser Wald ist undurchdringlich, was verrottet, fällt halb herunter und darauf wächst im nächsten Stockwerk etwas Neues, So entsteht dichtes Gestrüpp.Hier kommt man nicht durch. Es ist auch eine Gegend ohne Exekutive, weder Polizei noch Militär trauen sich in diese Gegend, andere schon. Die Straße ist katastrophal schlecht, aber dennoch ist ziemlich viel Verkehr von Mopeds angefangen bis rauf zum schweren 36 Tonner. Ein Vorteil allerdings hat die Straße, nachdem es hier immer feucht ist fährt man durch Morast und muss keinen Staub schlucken.
Wenn man vom Paramó in das Tal des Rio Magdalena herunterkommt, ist der erste Eindruck, dass das Tal wesentlich grüner ist. Und zwar dunkelgrün, die Farbe der Kaffeesträucher. Wir sind hier am noch sehr jungen Rio Magdalena, der 1400 km flussabwärts bei Barranqulla mit einer Breite von 1,5 km in die Karibik mündet. Die Gegend ist abenteuerlich wild zerklüftet. Man kann in den Schluchten des Flusses Rafting betreiben, und der Straßenbau bringt abenteuerliche Konstruktionen hervor.Im ganzen Tal wird Kaffee angebaut, man sieht kaum Brachen. Es gibt sogar neu erschlossenen Anbauflächen an Steilhängen, die sicher nur zu Fuß begehbar sind.
Am späten Mittag kommen wir in San Augustin an. Das Hotel liegt auf einem Hügel, ist sehr ruhig und hat eine gute Küche. Überall sind Veranden, und man hat eine große Auswahl an verschiedenen Hängematten. Habe schon mit Don Transportador vereinbart, dass wir hier verlängern, so gut gefällt es mir.
Am Abend spazieren wir durch San Augustin, das Stadtbild ist wesentlich sauberer, und die Leute sind entspannter. Ich frage Don Transportador, ob ich mir das einbilde, und er meint nein, nein, durch den Tourismus und den Intensiven Kaffeeanbau sei hier ein gewisser Wohlstand, den man auch sehe, wenn man durch die Straßen läuft.
Heute geht’s in den Park. Ich wurde vorgewarnt, dass man in einem Tag keinesfalls alles sehen könne. Und so ist es auch. Die meisten Exponate sind an die 2000 Jahre alt und waren wohl ursprünglich bemalt. Außerdem gibt es alltägliche Gebrauchsgegenstände, sonst ist nichts überliefert. Die ersten Funde hier waren 1860, seitdem wird hier sehr intensiv bis heute geforscht. Viele Archäologen kamen aus Deutschland. Der Park selbst ist sehr anspruchsvoll gestaltet. Es gibt verschiedene Areale, so genannte Mesitas, in denen man diese Skulpturen sehr ansprechend ausstellt. Zwischen den Mesitas läuft man auf gut gepflasterten Wegen durch dichten tropischen Wald. Auf der Fahrt hierher fiel mir ein Gebäude auf, an dem unter dem größeren Schild „Café de Colombia“ auch „ Nescafé Plan“ stand. Ich dachte mir noch, müssen die überall sein, und im Park treffen wir eine fröhlich lärmende Gruppe, die alle rote Baseballkappen mit der Aufschrift „Nescafé Plan“ tragen.
Natürlich frage ich, was ist damit auf sich hat, und die Gruppe bestimmt eine Dame mittleren Alters, die es mir erklären darf. Im Prinzip handelt es sich um eine Initiative von Nestlé, produzentenbezogen den Kaffeeanbau sozialverträglicher zu gestalten. Hört hört! Und hier in San Augustin Ist eine Niederlassung, in der Schulungen stattfinden, wo Setzlinge verteilt werden, und mit den Bauern zusammen Anbaumethoden diskutiert und verbessert werden. Klingt alles ganz gut. Wen’s interessiert, der kann unter
https://www.nestle.de/verantwortung/gemeinschaften/nescafe-plan
nachlesen und eventuell zukünftig den Kaffee mit besserem Gewissen auch von Nestlé kaufen.Wir verbringen 5 Stunden im Park und chillen anschließend im Hotel ohne Programm, auch mal ganz schön.
Via estrecha, muchas huacos, pero sobretodo muchos tontos
D.h. soviel wie „eng Straße, viele Schlaglöcher aber vor allem viele Idioten. Dies sagt gelassen mein Fahrer, als uns ein Moped bei 30 km/h Begrenzung mit circa 100 km/h überholt. Wir verlassen den Oberlauf des Rio Magdalena in Richtung Tiefland. Die Wüste Tatacoa liegt auf 450 m Meereshöhe, auf dem Weg dorthin steigt stündlich die Temperatur.
In Altamira fällt mir ein sehr modernes Elektrizitätswerk auf. Als ich frage, warum darum herum so hohe Mauern gebaut sind, erklärt mir Don Transportador, dass das zum Schutz gegen Granaten sei. Über diese hohen Mauern kann man mit der Hand keine Granaten werfen, gegen Mörser allerdings helfe es nichts. Also war wohl die Elektrizitätsversorgung immer ein Ziel, das sich auch schützen musste.
In Gigante machen wir eine Kaffeepause. Der Ort heißt nicht aus Größenwahn so, sondern weil dort eine 200 Jahre alte Eiche steht. Mitten am Hauptplatz der Stadt. Davor stehen zwei Soldaten in voller Montur. Mein Fahrer fragt, ob ich ein Foto machen darf. Sie sagen ja, und laden mich ein, mich dazu zu stellen. Danach nehmen wir uns einen Kaffee und einen Kokosnuss-Shake. Wie immer entwickelt sich ein freundliches Gespräch mit allen drum herum. Die Freundlichkeit und Offenherzigkeit aller Menschen hier ist immer wieder beeindruckend.
Ich meine, der Kokosshake, der auch ohne Zucker immer noch reichhaltig war, genügt als Mittagessen, aber mein Fahrer ist anderer Meinung. Er futtert in einem Rasthof für Lastwagenfahrer von Staubschwaden umhüllt ein sehr reiches Mittagessen. Aus Solidarität laß ich mir einen Teller Pommes Frites bringen. So wird das nix mit dem Abnehmen.
Dann Transportdor meint, dass wir nicht bis in die Wüste fahren sollen, sondern besser vor Neiva übernachten, er kenne da einen Ort, in dem ein wunderbares Thermalbad sei. Ich lasse mich darauf ein, weil es schon einmal was neues ist, sich bei 36° Außentemperatur auch noch in ein Thermalbad zu setzen.
Es handelt sich um eine Einrichtung einer kolumbianischen Versicherung für ihre Mitarbeiter, die dort sehr günstig kuren können. Ein dicht mit Palmen bewachsener Wald, darunter Wannen mit verschiedenen Temperaturen, beginnend mit 51 °C die „kälteste“ hat 46 °C. Es kommen viele Familien, aber auch junge Paare und Freundesgruppen. Sie halten es erstaunlich lang in dem Wasser aus. Überhaupt beginnt das Leben hier erst ab 21:30 Uhr, der Park schließt erst um Mitternacht. Wir kommen mit allen möglichen Leuten ins Gespräch, Don Transportador meint, dass die Kolumbianer gut auf mich reagieren würden. Jetzt folgt ein gigantischer Wolkenbruch, der aber keinen zum Aufbruch verleitet, vielmehr setzt man sich unter irgendeinen Dach und feiert weiter. Von solchen Kleinigkeiten wird man sich wohl nicht aufhalten lassen.
Wir sind sehr früh Neiva, der Provinz Hauptstadt,weil ich unbedingt einen Panamahut haben will. Ich meine so einen, der aus den charakteristischen Palmen gemacht wird, und nicht irgendein Plastikteil.Als der Händler aufmacht, kaufe ich ihm zwei von den Hüten weg, bevor er noch die ganze Jalousie hoch ziehen kann.
Nach 1 Stunde erreichen wir die Tatacoa Wüste. Dies ist eine zwischen der Ost- und Zentralkordilliere gelegene trockene Region mit einem extrem starken Binnenklima. Die hohen Gebirgszüge im Westen und Osten halten die starken Regenfälle ab und die Luft ist zwar extrem heiß, 40°, aber gleichzeitig sehr trocken. Es gibt Rundwege durch diese bizarre Landschaft. Gut dass ich den Panamahut habe. Ich laufe in einem kleinen Canyon. Don Transportador meint, ich soll lieber zu ihm auf den Hügel kommen, weil in diesem Canyon würde ich nichts sehen außer Schlangen. Habe ich aber nicht. Leider ist es Mittag und die Sonne steht sehr ungünstig für schöne Fotos. Wir werden morgen im Morgengrauen wiederkommen, und heute Abend, weil an diesen Ort ein Observatorium steht,das um sieben seine Türen für Besucher öffnet. Wenn ich schon mal da bin.
Als die Hitze des Tages vorüber ist, und das Sonnenlicht weg sind wir im Observatorium. Von außen sieht man einen Teleskopturm, und natürlich ist unsere Erwartung, dass wir in diese Sternwarte geführt werden. Stattdessen gibt es eine Kinobestuhlung im Freien, und vorne steht ein Teleskop, wie es ambitionierte Hobby-Astronomen auch haben. Macht aber nichts, der junge Mann erzählt routiniert von der Sternenbeobachtung und dem Universum. Ich hab nicht unbedingt was Neues gelernt, aber es ist immer wieder faszinierend, wenn sich Leute am Abend im Freien versammeln und gemeinsam in die Sterne schauen. Bin irgendwie doch ein Romantiker. Weil es leicht bewölkt ist sehen wir nur Jupiter mit vier Monden und Saturn mit seinen Ringen. Heute ist Vollmond, was für die Sternenbeobachtung sowieso schlecht ist. Aber wir machen aus der Not eine Tugend und betrachten den Mond. Man kann sogar mit dem Handy ein Bild machen, ist zwar nicht so gut wie auf der Website der Nasa aber immerhin selbst gemacht.
Um 5:15 Uhr brechen wir auf, denn ich will vor den Touristenhorden in der Wüste sein und die Atmosphäre einfangen. Es regnet! Wobei man das eigentlich nicht als Regen bezeichnen kann, sondern eine kleine Abkühlung aber immerhin, es genügt, dass die Steine so nass werden, dass sie wie lackiert aussehen. Ich stelle meinen Sourround-Rekorder auf und beginne mit den Aufnahmen der fantastischen Vogelstimmen. Nach 40 Sekunden geht der Rekorder aus, ich muss wohl vergessen haben irgendwann auszuschalten, und die neu eingelegten Batterien sind schon wieder leer. Damit ich nicht zu schwer zu tragen habe, habe ich vorher die Ersatzbatterien aus dem Rucksack raus, zefix. Ein weiterer Tag in der Wüste ist damit gewonnen, denn das Einfangen der Vogelstimmen ist mir wichtig. Wir laufen immerhin zweieinhalb Stunden durch die Wüste, dafür mache ich außer Schwimmen am Rest des Tages nichts mehr.
Diesmal mit Batterien und zweiter SD-Karte! Alle Voraussetzungen sind gegeben, nur die Vögel haben heute weniger Lust, zu singen. Don Transportador meint, wenn es regnet, singen sie viel eifriger. Macht aber nix, wird trotzdem eine meditative Aufnahme werden.
Nach dem Frühstück machen wir noch einen Abstecher an den Rio Magdalena, wo es eine abenteuerliche Fähre zum Westufer gibt. Ein Paar aus Bogota verlädt ein ziemlich neues BMW Motorrad, und sie freuen sich sehr, als ich sage, dass ich nicht weit von der Fabrik wohne.
Alle kriegen Schwimmwesten umgehängt, nur die Motorrädern nicht. Ich frage warum, und der Fährmann sagt, dafür haben wir ja eine Versicherung.
Don Transportdor meint, er habe in der Nacht Nachrichten gesehen und als Folge davon müssen wir leider unsere Reiseroute ändern. Seit der Deklaration der Guerilla sei die Situation schwieriger geworden und deshalb sei sicherer, zunächst rechts vom Rio Magdalena zu bleiben.Am Nachmittag Spaziergang durch la Plata, dort steht ein kleiner Kiosk mit einer ziemlich modernen Kaffeemaschine und sehr gutem Kaffee. Ich frage nach, es ist eine Kooperative von Frauen, die zusammen diesen Kaffeestand betreiben um die lokalen Erzeugnisse zu vermarkten. Ich kaufe die Bestände leer und die Frau hat den schönen Namen Neira Yolany Alvira Pito, ist die CFO (Chief Financial Officer, sowas wie die kaufmännische Geschäftsführerin) und freut sich, dass ich ein Foto mache.
Am Abend am Pool umzingelt von nordamerikanischen Rotariern, die dem Rotarier Club La Plata einen Freundschaftsbesuch abstatten. An sich ganz nette Leute, nur der Hotelbesitzer meint, er müsse dem geschätzten Besuch einen Gefallen tun und die schlimmsten amerikanischen Schnulzen abspielen. Mein zarter Hinweis, dass es in Kolumbien doch so viel exzellente Musik gäbe, prallt an einer Mischung aus Unverständnis und Verlegenheit ab.
Heute schon wieder Archäologie. Dabei musste mich Don Transportador beinahe überreden, denn eigentlich hatte ich keine große Lust auf weitere behauene Steine. Aber es gehe ja diesmal um Grabkammern, und die müsse ich unbedingt sehen. Schon die lange Anfahrt dorthin versöhnt meinen inneren Schweinehund mit meiner Neugier. Es geht 400 Höhenmeter aufwärts auf einer abenteuerlichen Straße. Die ist zwar vom Belag her mit gutem Beton gemacht, das Problem ist nur, sie führt immer an enorm hohen Steilhängen entlang, an denen halb heraus hängende Felsen nur auf das nächste Erdbeben oder auf den nächsten Regen warten, um endlich herunterfallen zu können. Und so gibt es alle 500 m provisorische Umwege, weil wieder einmal ein Erdrutsch die Straße unpassierbar gemacht hat. Nach nahezu 2 Stunden und vielen Eindrücken sind wir wieder in einem Archäologie Park. Vom Parkplatz geht es 130 Höhenmeter nach oben auf ein Plateau. Auf einer Fläche von vielleicht 2 ha sind dort überall Grabkammern in den Boden gehauen worden, und darüber war der Ort, so wenn wir alle unsere Toten im Keller lagern würden. In der Vorstellung der Menschen damals (und auch heute noch,ist der Tod ist nur eine andere Form des Daseins im ewigen Kreislauf) war das eine gute Möglichkeit, die Verstorbenen mitten unter den Lebenden zu behalten. Alle Wachmänner und sonstigen Angestellten des Parks sind aus der indegenen Bevölkerung direkt vor Ort und enorm stolz auf ihr Erbe. Als mir die Wache ein Grab öffnet, verzichte ich aus zwei Gründen darauf, hinabzusteigen. Zum einen, weil es echt gruselig ist, zum anderen, weil ein älterer Herr mit demolierten Knie gut beraten ist, den Abstieg 6 m in die Tiefe über steile hohe Stufen zu unterlassen, wenn er keine Lust auf eine schwierige Bergung und einen Krankenhausaufenthalt in der kolumbianischen Provinz hat. Aber der Ort mit seiner Rundumsicht hat etwas Magisches. Meine neuen Freunde hier erzählen mir stolz, dass die Bauern in dieser Region der Versuchung widerstanden haben, Coca anzubauen (eigene medizinische Zwecke aus jahrtausendealter Tradition ausgenommen). Man sieht hier auch schön den Verzicht auf Monokulturen, auch wenn es nicht ordentlich erscheint, so ist der Anbau von Pflanzen in Gesellschaften keine Nachlässigkeit, sondern uralte Erfahrung. Die Böden werden so nicht ausgelaugt und außerdem schützen sich die Pflanzengesellschaften gegenseitig gegen Schädlinge, was wiederum den Verzicht auf Chemie (sorry Bayer, aber deine Aktien habe ich schon vor 40 Jahren verkauft) ermöglicht.
Für mich gehört zu jedem Auslandsbesuch auch ein Friseurgeschäft dazu. Die Haare wachsen ja auch, wenn man unterwegs ist, und es ist immer wieder ein Erlebnis. Und die Leute im Friseurladen freuen sich meistens sehr über diese Abwechslung. So war es auch diesmal wieder. Erst wird umständlich geklärt, wie ich denn gerne meine Frisur hätte. Ich tendiere wie immer zur Schere, aber werde von der Friseurin und Don Transportador überredet, es doch mit der Maschine zu probieren. Als dies geklärt ist, ist die nächste Frage, welche Größe denn, ich habe keine Ahnung und nicke nur, als dreieinhalb gesagt wird. Manchmal muss man sich fallen lassen und vertrauen....
Weiterfahrt zurück nach San Augustin. Aus diesem Anlaß einmal ein paar Anmerkungen dazu, wie man sich als Reisender verhält, was man tun kann und was nicht, was man erleben kann und was den Reiz ausmacht, aber auch, was nicht so schön ist.
Ganz oben steht für mich die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Kolumbianer. Ganz egal, wo du hinkommst, du erweckst Aufmerksamkeit, Zuvorkommenheit, freundliche Neugierde, Hilfsbereitschaft und Mitteilungsbedürfnis. Don Transportdor meint zwar, dass es auch Menschen mit schlechtem Charakter gebe, ich bin aber bisher keinem einzigen begegnet. Die Leute sind auch immer fröhlich, nicht auch, sondern gerade weil manches nicht auf Anhieb klappt oder auch etwas schief geht. Und sie fühlen sich immer geehrt, wenn du Interesse zeigst, dann sprudeln sie los. Insbesondere, wenn man einige Worte Spanisch spricht und sie so den Eindruck haben, dass du sie verstehst, musst du sie daran erinnern, dass du ein Fremder aus dem fernen Lande bist, mit dem man langsam und betont sprechen muss. Das hält dann meistens 15 Sekunden an. Macht aber nix, kann man auch unter Intensivkurs ablegen.
Der Chicco mit seiner Schwester auf dem Bild ist für mich die Verkörperung von Lebensfreude. Er trug ein Hemd, das durchaus einmal eine Wäsche vertragen könnte und einen völlig abgewetzten Strohhut, mit einem kreisrunden Loch im Dach. Er hat uns bei einer Zwangspause mit einer würdevollen und bestimmten Höflichkeit Honig angeboten, dass ich nicht widerstehen konnte. Ich war zwar nicht scharf auf den Honig, aber so eine Haltung verdient meiner Auffassung nach Belohnung. Er hat nach diesem erfolgreichen Geschäft, der Honig kostete 2,50 € , seinen Arbeitstag abgebrochen. Sei ihm und seine Schwester vergönnt. Überhaupt diese fliegenden Händler an allen Orten, an denen Autos gezwungen sind, zu halten. Und hier tut sich ein weites Feld auf, den Zwangspausen gibt es nicht nur an den Ampeln in den Städten, sondern insbesondere auf dem Land, wenn wieder einmal eine Straße gerade verschüttet wurde und wieder freizumachen ist.Man kennt das von anderen Ländern, vom Maispflanzerl bis zum eingepackten Käse wird alles angeboten, sogar USB Sticks mit Musik. Ich frage spaßeshalber, ob auch GEMA Gebühren enthalten sind, die Frage verwirrt eher, und wird vorsichtshalber mit Ja beantwortet.
Aber auch die Gefahren sollten nicht verschwiegen werden, die in Kolumbien nicht gerade gering sind. Das Auswärtige Amt rät dringend von Überlandreisen ab. Grund dafür ist, dass kriminelle Banden, die Narcotraficantes, aber auch Paramilitär und selbstverständlich die Guerilla in Teilen des Landes durch aus den ein oder anderen aus dem Verkehr ziehen, entweder, weil man sich davon ein kleines Zusatzgeschäft verspricht, oder weil man gerade zur falschen Zeit am falschen Ort ist und stört. Wer also keine Lust hat, in einem Versteck in Paramo darauf zu warten, dass zu Hause einer für einen Geld lockermacht, der sollte tunlichst nicht in Bogota ein Auto mieten und über Land reisen, ohne zu wissen, wo man hingeht, und wo man besser nicht hingeht. Deshalb bin ich auch mit einem guten Fahrer unterwegs, dessen Fähigkeiten sich aber nicht aufs Fahren beschränken. Er ist gleichzeitig Mechaniker, Führer, Vogelkundler, Kundschafter, und auch ein bisschen Leibwächter.
Im übrigen Bogota: man sagt, die Städte seien sicher, mein Fahrer weiß aber, dass gerade Bogota ein heißes Pflaster sei. Es gebe dort Viertel, in denen man massakriert werde, wenn man in der Öffentlichkeit sein iPhone benutzt, weil das eben so einen tollen Nimbus hat und gut weiterverkauft werden kann. Deshalb haben alle reichen Leute auch ein ganz billiges Knochen Telefon, und lassen das iPhone so lange sie draußen sind, gut versteckt in der Tasche. Nehme ich mir auch vor, habe ja sogar zwei dabei, mein altes und mein neues…
Tja und dann der Straßenverkehr. Habe ich schon viel dazu gesagt, muss nicht weiter ausgeweitet werden. 25.000 Tote im Straßenverkehr (von den überall sichtbaren Krüppeln ganz zu schweigen) , soweit man weiß, bei der Hälfte der Bürger in Deutschland kämen wir auf 50.000 Tote. Wir haben nicht einmal ein Zehntel davon. Eindrucksvoll sind die Marterl am Straßenrand, manche sind sehr pompös und mit viel Fantasie errichtet, richtige kleine Kunstwerke. Am schönsten fand ich ein Monument, anders kann man es nicht bezeichnen, das am Steilufer des Rio Magdalena für einen Lastwagenfahrer errichtet worden sein muss, der statt der Linkskurve geradeaus direkt in den 100 m tiefer gelegenen Fluss fuhr. Rechts und links 2 m hohe, massive verchromte Auspuffrohre, in der Mitte ein Bild zum Andenken, andere Insignien eines truckers. War echt eindrucksvoll. Leider konnte ich es nicht fotografieren, da wir im Konvoi fuhren und nicht anhalten konnten.Am schlimmsten sind die Busfahrer, deshalb halte ich es für keine gute Idee, sich mit Bus durchs Land zu bewegen. Zumal die Busse auch ein willkommenes Opfer für Überfälle sind, wenn die Route abseits der Hauptwege liegt. Und da steigt dann eine Horde Bewaffneter in den Bus und sammelt alle Telefone, Geldbörsen Schmuck Uhren etc. ein. Muss ja nicht sein.
Zum Essen: es gibt ja ein paar Grundregeln, die man so von zu Hause mitbringt, kein Speiseeis, keine rohen Salate, nur ungeschälte Früchte, nur abgefüllte Getränke , und so weiter. Gilt im Prinzip auch immer, nur manchmal hält man es nicht durch, ist aber meistens akzeptabel, häufig sieht man auch den Restaurants an, ob sie einigermaßen sauber arbeiten und vernünftige Lebensmittel verwenden. Im Zweifel ist aber sicher Vorsicht angebracht. Und außerdem, ich habe immer vermieden, in offenstehenden Restaurant zu speisen, denn da weht der ganze Straßenstaub herein, mit allem, was man nicht im Essen haben will. Dieser Kokos-Shake in einem Straßencafe am Hauptplatz von Gigante schmeckte jedenfalls sehr gut und musste auch nicht bereut werden.
Eine Besonderheit in Kolumbien ist der Straßenverkauf von Benzin. Wenn man sich das Bild anschaut, fällt es einem zunächst gar nicht auf. Ist halt eine Werkstatt wie viele andere auch: gefühlt 10 % aller Kolumbianer sind immer dabei, gerade ihr Moped zu richten, und es gibt Tausende solcher notdürftig zusammengenagelter Werkstätten, die gleichzeitig auch irgendwo Kanister stehen haben, aus denen man Benzin beziehen kann. Mein Fahrer sagt, dass dieses Benzin direkt aus der Pipeline stammt, aber nicht so wie in anderen Ländern von Amateuren gezapft (man liest immer wieder, dass 100 Leute in die Luft geflogen sind, als sie wieder einen verunglückten Tanklastzug plündern wollten) nein nein, in Kolumbien läuft das anders, da helfen die Ingenieure der Ölfirmen nach Feierabend den Kraftstoffdieben bei einer professionellen und gefahrlosen Kraftstoffableitung. Und die Beute wird dann für handelsübliche Preise unter die Leute gebracht. Das stört aber weiter offenbar keinen, noch nicht einmal die Ölfirmen selbst, denn so ist wenigstens sicher, dass keine Schäden an den Leitungen entstehen. Ganz etwas ähnliches gibt es übrigens auch bei den Telekommunikationsfirmen, die finca bavierita war über eine Kupferleitung ans Telefonnetz angeschlossen, aber in der Nacht wurde das Kupferkabel (Rohstoff ist wertvoll) immer wieder aus dem Boden gerissen. Das macht man nicht mit Handarbeit, sondern das geschieht mit der selben Maschine, mit der tagsüber das Kabel verlegt wird. Also auch hier eine lukrative Nebenbeschäftigung der Experten nach Feierabend.Irgendwann nach dem vierten Mal wurde es der Telefonfirma zu dumm und sie richtete eine Funkverbindung ein. Die kann (noch?) nicht geklaut werden.
Oberhalb, nicht weit, sei eine kleine Finca, in der Kaffee produziert werde, sagt die Seniorchefin vom Hotel, als sie mein bisher angehäuftes Sammelsurium an Kaffeeproben entdeckt. Meine Frage, wie weit nicht weit sei, wird mit 15 Geh-Minuten beantwortet, und dass der Kaffee biologisch sei, sei ja auch klar. Der Bauer heiße Gumer. Also mache ich mich auf, den Betrieb zu besichtigen. Und Tatsache, vor einer zwar kleinen aber ansehnlichen finca sitzt ein kleines Männchen, das mich zum Eintreten auffordert, als ich höflich nachfrage. Das ganze Areal ist auffallend gut gepflegt, wenn auch nicht blitzsauber. Überall springen Hunde herum, mir fällt besonders die Wendeltreppe auf, deren Geländer aus Lianen besteht. Dieser Betrieb ist im besten Sinne ganzheitlich. Gumer, der Bauer heißt wirklich so, baut Kaffeepflanzen an und pflegt sie, erntet sie im Dezember ab, breitet sie dann zum Trocknen in der Sonne aus (4-8 Tage, je nach Intensität und Dauer des Sonnenscheins), rüstet sie dann in einer eigens mit einfachsten Mitteln hergestellten Apparatur mit Fahrradantrieb, mahlt die gerösteten Bohnen oder verpackt sie auch ungemahlen, und vermarktet sie dann selbst. Ich bin verblüfft, als er ziemlich eloquent von Gewinnmargen spricht, die eben höher seien, wenn man kein Geld für Chemikalien ausgebe und mehr für das Pfund Kaffee verlangen könne. Donnerwetter, hätte ich hier wirklich nicht erwartet. Gumer trägt ein Lacoste T-Shirt, das durchaus auch einmal gewaschen werden könnte und hat blitzgescheite Augen. Er bietet mir seinen Kaffee zum Trinken an und wir vereinbaren, dass ich morgen mit Geld zum Einkauf zurückkomme. Zum Abschied sagt er mir noch, wenn er nicht da sei, dann soll ich doch gegenüber auf dem Feld bei der kleinen Casita nachschauen, und ich realisiere, das er nicht gerade der kleinste Bauer ist, was mich nach dem Gespräch aber auch nicht mehr allzu sehr wundert.Auf dem Rückweg werde ich vom Gewitter überrascht, das schon den ganzen Tag in der Ferne rumort, und freu mich so richtig, durch und durch naß zu werden.
Am Folgetag mit dem Wagen, um den Kaffee abzuholen. Gumer hat Zeit und stellt mir sein Weltbild vor. Mit der folgenden, vorgezogenen Nachbetrachtung lässt sich das spirituelle Weltbild von Gumer gleich von Anfang an gut verstehen: Nach meiner Rückkehr nach Popayán erzähle ich Franz von diesem beeindruckenden Gumer. Unbesehen sagt er sofort, das muss ein Yanacona sein. Auf die Frage, woher er das so schnell sagen könne, kommt prompte Antwort: Die Yanacona waren schon zu Zeiten des Inka Reiches spezielle Menschen. Sie waren das erste von den Inkas unterworfene Volk, so erzählt es die mündliche Überlieferung in Cusco heute noch. Sie waren die wichtigste Säule des Inka Reiches, ohne sie wäre das Reich nicht entstanden und hätte sich nicht ausbreiten können. Die Yanaconas verstanden vor allen Dingen die Organisation von Kolonien und waren somit eine Art Vorhut für die Ausweitung des Inkareichs. Drum findet man sie auch hier in Huila, denn das Inkareich dehnte sich in seinem Höhepunkt bis hierher aus. Sie waren handwerkliche Meister und beim Erstellen großer Bauten waren sie unerlässlich. Wenn man in ein Yanacona-Dorf komme, spüre man sofort, dass es sich bei dem Bewohnern um kluge und lebenstüchtige Menschen handle. Aus all diesen Gründen musste Franz keine Millisekunde überlegen, dass es sich bei dem beschriebenen Kaffeebauern nur um einen Yanacona handeln kann.
Und so sieht Gumer in Übereinstimmung mit seinen Vorfahren die Welt: in der Mitte ist Cusco, der Nabel der Welt aus Sicht des Inkareichs. Über ihn wird das Kreuz des Südens aufgespannt, dass ihr auch als Sternbild kennt, den Polarstern der Südhalbkugel. Das Kreuz teilt in vier Quadranten auf, im ersten Quadranten sind die erstrebenswerten Daseinszustände: Freiheit, Kraft und Weisheit. Im zweiten Quadranten findet man drei Gebote, nicht stehlen, nicht faul sein, nicht lügen (reicht doch auch, müssen es wirklich zehn sein?).
Der dritte Quadrant wiederholt den ersten, und im vierten wird der Kosmos aufgespannt: Himmel, Erde und Unterwelt.
Gumer erzählt mir dieses Wertesystem so überzeugt, dass ich nicht den geringsten Zweifel habe, dass es für ihn wichtig ist und dass er danach lebt. Der Erfolg jedenfalls gibt ihm Recht.
Ich bin so begeistert von ihm, dass ich ihn nicht nur zehn Pfund gemahlenen Kaffee abkaufe, sondern eben auch noch die restlichen fünf Pfund ungemahlenen. Beim herzlichen Abschied sagt er zu mir, ich könne ja im Dezember zur Ernte wiederkommen, da könne er jede Hand brauchen…
Heute ist Zeit, die Rundreise zu beenden, aus mehreren Gründen, zum einen wird das Leben aus dem Koffer nervig, zum anderen ruft Franz täglich an, wo wir denn seien und wie es uns denn ginge und wo wir denn blieben...Außerdem ist morgen, am Samstag der „Dia del amor y de la amistad“, so eine Art kolumbianischer Valentinstag. Deshalb will mein Fahrer auch gerne zu Hause einen Blumenstrauß überreichen und hat überhaupt nichts dagegen, in Richtung Heimat aufzubrechen.
Nach elf Tagen Rundreise durch Süd West Kolumbien ist es deshalb auch einmal geboten, die Leistungen von Don Transportdor zu würdigen. Er kennt alle die Wege, hat immer die neuesten Informationen, weiß, wie man Schlaglöcher mit hoher Geschwindigkeit umfährt, ist immer als Übersetzer hilfreich, und wenn am Auto aufgrund der schlechten Straßenbedingungen irgendwann etwas fehlt, hat er auf der Ladefläche eine halbe Werkstatt und die wichtigsten Ersatzteile dabei, um sofort reparieren zu können, überlebensnotwendig in Kolumbien. Außerdem ist er ein sehr guter Vogelkenner, egal wann und wo Vogelsang zu hören ist, er kennt den Namen und die Eigenheiten der pajaritos. Außerdem sieht er so aus, als ob mit ihm nicht zu spaßen wäre, was in Kolumbien sicher auch kein Nachteil ist. Danke dafür Señor, dass Sie mich gut und sicher über so weite Distanzen gebracht haben. Auch heute wieder, als wir wieder in einer Höhenvon 3100 m über die Zentralkordilliere fahren, auf einer Straße, die kaum schlechter denkbar ist.
Am Morgen dieses Freitags, noch in San Augustin, erhielt ich eine Nachricht von Avaaz, die zur Teilnahme am weltweiten Klimastreik aufforderte. Ich sah nach, ob es in der Nähe auch eine Veranstaltung gebe, und tatsächlich, in Popayan war etwas geplant, immerhin . Leider viel zu früh für mich, um rechtzeitig dorthin zu kommen. Zurück in der Finca frotzelte ich herum, warum denn keiner hingegangen wäre, wo doch so etwas Tolles hier organisiert worden sei, und Franz lädt mich auf eine andere, nämlich die indianische Sichtweise ein: Mir schwillt schon der Hals, als er anfängt, mir zu erklären, warum eine Teilnahme an einer solchen Demonstration überflüssig und damit sinnlos sei. Wir seien in einer Zeit der exzessiven Bezähmung der Natur, wir würden sie uns seit Jahrhunderten gnadenlos untertan machen. Dies bedeute im indianischen Gedankenmodell eine grenzenlose Bezähmung des Flusses unser aller Lebenskraft und könne nur darin enden, dass die Lebenskraft ausbrechen würde, zu einem katastrophalen Umschlagen der Welt. (siehe die Anmerkungen am 14. Oktober dazu). Entsprechend dieser Sichtweise sei der Klimawandel und die daraus folgende Katastrophe eine unausweichliche Konsequenz unseres Verhaltens. Nur wenige würden dieses Pachacuti, also diesen Weltenbrand überleben, aber für die würde sich die Chance der schlagartigen Verbesserung durch Erneuerung bieten. Mir ist das viel zu apokalyptisch und viel zu nahe an der Sicht fundamentaler Christen, die an die Erneuerung durch Katharsis glauben. Ich frage auch, warum man so resignativ sein muss, und Franz meint, dass es doch schon bei weitem zu spät sei, womit er nicht ganz unrecht hat. Und dass es zum Sinneswandel ein Umdenken benötige, eine radikale Abkehr von unseren Glaubenswerten, der Religion des Geldes. Dies sei aufgrund der Trägheit unserer Wertesysteme nahezu unmöglich und deshalb glaube er nicht an die Möglichkeit einer Verhinderung. Wenn man die Kommentare im Handelsblatt zu dem Thema liest, muss man ihm da leider auch Recht geben. Dennoch, diesen Dissens können wir nicht auflösen, aber auf jeden Fall hat er mir etwas zum Nachdenken gegeben. Wie sagte Tucholsky, Toleranz ist das Zulassen der Möglichkeit, dass der andere Recht haben könnte. Dennoch bin ich stolz auf meine Tochter, die am Morgen dieses Freitags in München mitdemonstriert hat.
Ich denke schon in der früh an den Wiesnanstich, Es ist das zweite Mal, dass ich nicht dabei bin. Aber gedanklich schon. Außerdem kommt aus München die Frage, ob es denn hier ein gescheites Bier gebe. Dazu ist zu sagen, dass die Güte des Bieres nicht an die Qualität der Ananas heranreicht. Trinkbar ist es schon, nur sicher nicht in den Maßen von Massen, die heute im Augustinerzelt den Durchschnitt darstellen. Ich bin ganz begierig, zu erfahren, was auf der Wiesn so vor sich geht und stöbere auf der Website der SZ. Und was muß ich da lesen? Eine Laura, vermutlich eine Jungredakteurin von weiter nördlich macht ihren Artikel auf mit der Schlagzeile "Wo die Weißwürstl gebrüht werden"! AUA! Mein Vater, bis 1987 Chefredakteur einer anderen Zeitung, hat sehr darauf geachtet, dass solche Schnitzer in seiner Münchner Zeitung nicht vorkommen, und gleich zwei solche Kaliber! Da es die Rolle bei der SZ offenbar nicht mehr gibt, ist das jetzt für alle zu lesen! Aber immerhin, es gibt die Möglichkeit für die Leser, auf Fehler hinzuweisen, ist ja auch so, daß man heutzutage den Strom für das E-Werk selber abliest, also warum nicht auch das? (Tucholsky hat gesagt, eigentlich könnten unsere Leser die Zeitung viel besser schreiben, aber die haben keine Zeit, und drum müssen wir das machen) Ich schreibe unverzüglich und bald kommt die Antwort, "liebe Frau Wanninger, Sie haben natürlich Recht, und wir ändern das." Ich verifiziere den Erfolg und gönne mir auf die Genugtuung hin ein weiteres "Andina" Prost!
Außerdem Anlass genug, einmal von Herrn Leo Kopp zu berichten. Das war ein Auswanderer aus Offenbach, der hier 1911 eine Brauerei namens Bavaria gründete, was ein guter Hinweis darauf ist, dass es auch eine Verbindungen zur ehemaligen Brauerei Kopp in Mainburg, Hallertau geben muss. Jedenfalls war dieser Herr Kopp im Unterschied zu manchen anderen Weißen ein sehr gütiger und fürsorglicher Unternehmer, was dazu führte, dass er heute als eine Art Volksheiliger in Bogota verehrt wird. Seine Grabstätte wird als Pilgerort aufgesucht, und die Leute wenden sich mit jeder Art von Anliegen an ihn. Damit er sich auch wirklich darum kümmert, flüstern Sie ihm das ins Ohr, besser gesagt der Statue auf seinem Grab.
Unterwegs in den Hotels fiel mir schon seit Tagen die Werbung des Fernsehsenders Caracol für einen Historienschinken namens „Bolívar“ auf. Offenbar mit großem Aufwand gedenkt Kolumbien seines Staatengründers. Vor genau 200 Jahren, im Jahr 1819 waren die spanischen Kolonialherren mit der Eroberung von Boyacá durch Bolivars Heer endgültig besiegt worden und damit war Neu-Granada, so hieß damals das Gebiet des heutigen Panama, Kolumbien Ecuadors und Venezuelas, von den Spaniern befreit (kleine Anmerkung, aber das Land nicht) und somit ein selbstständiger Staat. Dieses historische Ereignis wird als bicentennial gefeiert, unter anderem eben durch diesen Film. Und wie es der Zufall will, kommt in Franz geliebter Deutschen Welle nach den Nachrichten ein Bericht über die Automobil Ausstellung in Frankfurt, was zum sofortigen Umschalten führt, eben in den Sender Caracol, wo gerade dieser Historien-Schinken läuft.
Wir gucken diese als Geschichtsstunde verkleidete Schnulze eine Zeit lang an, und dann fragt mich Franz, ob mir etwas auffalle. Trotz angestrengtem Nachdenken verneine ich, und erhalte promt die Auflösung. In dem Film spielen nur Kreolen (also die weißen Nachfolger der Spanier) und schwarze Sklaven. Indianer kommen überhaupt nicht vor. Jetzt, wo er es sagt, wird es mir sofort deutlich. Das passt überhaupt nicht zum Erscheinungsbild von Kolumbien, weder damals, aber auch nicht heute. Immerhin besteht Kolumbien mindestens zu drei Vierteln aus Menschen mit indigenen Wurzeln. Aber Indianer kommen in dem Film überhaupt nicht vor. Nun arbeitet Franz als Ethnologe ja schon seit 40 Jahren an diesem Thema, ich möchte eine seiner vielen Arbeiten dazu kurz vorstellen. Der Titel sagt schon alles: „Totgeschwiegene indianische Welten“.
https://www.amazon.de/dp/3939399809/ref=cm_sw_r_oth_api_i_TtoIDbBHAMSK1
Hierin ist die Cosmovision, also das Weltbild im indianischen Denken ausführlichst beschrieben. Leider haben das nur sehr wenige gelesen, denn hierin liegt der Schlüssel zum Befrieden des Landes. Und, mit Verlaub gesagt, der Amerikas. Das Weltbild ist nämlich sehr lebendig, sonst hätte es Franz nicht in zahlreichen Gesprächen in allen Teilen Südamerikas so gut herausarbeiten können. Solange aber diese Anschauungen nicht anerkannt werden, vergibt sich der Kontinent eine große Chance. Hier ist nämlich viel Wissen verborgen, das wertvoll sein könnte, wenn man es denn nur zuließe. Und, was noch viel wichtiger ist, dieser Staat hätte endlich eine eigene Identität, auf die er sich berufen und sogar stolz sein könnte. Und müsste sich nicht an anderen Lebensstilen orientieren, die er doch nur sehr mangelhaft imitieren kann. Franz sagt, die Gewalt in diesem Land sei nichts anderes als eine Autoimmunerkrankung. Aus dem Buch will ich in einer späteren Episode einmal die indianische Sicht herausgreifen, wie man das rechte Maß finden kann. Darüber haben wir schon vor über 20 Jahren diskutiert, und ich finde es immer noch faszinierend, Aber hier würde es jetzt den Platz sprengen und wird nachgeholt.
Nachtrag eins: Simon Bolívar musste sich an den damals ganz frisch vom Joch der Kolonisation befreiten Staat Haiti wenden, dort waren ja die Negersklaven, angeregt durch die französische Revolution, schon in der Unabhängigkeit von den französischen Kolonialherren. Da Simon Bolívar gegen die Spanier Asyl und Hilfe brauchte, wendete er sich an Haitis Präsident Alexandre Sabès Pétion, genannt Papa Bon-Kè („Gutherziger Papa“) und erhielt Waffen und Kämpfer zur Unterstützung. Vielleicht mit eine Erklärung, warum die Afro-Kolumbianer in der Rangfolge nicht ganz unten stehen. Man muss ja auch bedenken, für Sklaven hat man teuer Geld bezahlt. Und deshalb behandelt man sie besser als andere, die man umsonst gekriegt hat.....
Nachtrag zwei: Bolívar reiste im Alter von 21 Jahren durch Frankreich und Italien. In Rom lernte er eine Schwedin kennen. Da er auch nur ein Mann war, versprach er ihr, dass die Farben seines Landes sein müssten wir sie: blonde Haare, blaue Augen und rote Lippen. Franz meint, „die Fahne des Landes als Ergebnis einer pubertären Vision“. Kam in dem Historienschinken übrigens nicht vor.
Nachtrag drei: Auszug aus einem Fragment von Humboldts Tagebuch, Abschnitt „über die PIjao“, in dem er sich darüber auslässt, dass, obwohl die Vulkane in der Nähe der Stadt Ibague sehr dominant sind, nichts darüber in Erfahrung zu bringen sei. Aus dem Spanischen (Humboldt verfertigte sein Tagebuch auf Spanisch, weil er ja auch an die Bewohner dieses Landes und nicht nur an zu Hause berichten wollte) übersetzt:
„Aber das Unwissen kommt nicht nur aus der Unzugänglichkeit der beiden Täler, sondern vor allen Dingen auch aus dem Desinteresse der Spanier. Das ist der Grund der absoluten Unkenntnis. Offenbar fehlt den Spaniern die Neugierde anderer Nationen." (Anmerkung für meine spanischen Freunde, er meinte damit natürlich ausschließlich die kreolischen Kolonialherren ihn Neu-Granada).
Hector kommt vorbei. Er ist Geologe, 70 Jahre alt, die man ihm mit seiner Erscheinung als ein Althippie überhaupt nicht ansieht. Er hat sein Berufsleben im geologischen Landesdienst Kolumbiens verbracht, ist aber schon seit Jahren pensioniert. Er wurde vor 35 Jahren eingestellt, als mit einem Schlag bei Ausbruch des Nevado del Ruiz 25.000 Menschen umkamen. Das war der Auslöser dafür, dass sich Kolumbien Gedanken machte, wie man in einer geologisch solch aktiven Region seine Bevölkerung schützen könne. Damit begann die wissenschaftlich begleitete Einrichtung von Frühwarnsystemen und Beobachtung von geologischen Phänomenen, verbunden mit Prognosen und Risikoanalysen. Hector hat einen großen Anteil am Erkenntnisgewinn des Landes bezüglich seiner Naturgefahren und ist trotzdem ein ungemein bescheidener Typ mit hoher Auffassungsgabe und Schalk in den Augen.
Ich erzähle von meinen Reiseplänen nach Ecuador und er sagt, das sei super, weil die Berge sein viel höher als der Himalaya. Ich verstehe erst nicht, stehe auf der Leitung, schieben wir es auf meine sprachlichen Defizite. Er erkennt das sofort und sagt, du hast mich nicht verstanden, wir reden davon, dass unsere Erdoberfläche wesentlich weiter vom Erdmittelpunkt entfernt ist als am Pol. Ach so, klar, dass Clairaut'sche Theorem, die Abplattung der Erde. Simpel gesagt, durch die Rotation der Erdkugel und die Viskosität des Erdmantels ist die Erdkugel abgeplattet. Übertrieben dargestellt werden kann das durch eine Orange, die sich bei genügend großer Rotation zu einer Mandarine verformt, etwa so wie die Eistänzerin bei der Pirouette. Also, Herr Clairaut hat das berechnet (war eine Prüfungsfrage in meinem Physik-Diplom, drum erinnere ich mich dunkel daran). Der Pol ist also circa 10 km näher am Erdmittelpunkt, und der Äquator ist 10 km weiter vom Erdmittelpunkt weg.
Und vor allem, liebe Damen von den Weight Watchers, am Äquator habt ihr zwar dieselbe Masse, aber ihr wiegt weniger als am Pol, ist das nichts?
Seitdem ich hier bin, kam Don Ca fast täglich. Heute kommt er, sich zu verabschieden, weil er bis in den Dezember hinein eine Europareise macht. Am Freitag fliegt er von Bogota aus nach Deutschland, und wir geben ihm noch Ratschläge, welche Gegenden er besuchen soll, aber er hat schon ziemlich feste Pläne.
Don Ca ist schon ein Charakter. Man könnte ihn ohne weiteres als einen Abenteuer bezeichnen. Don Ca stammt aus einer Kreolenfamilie in Popayán, Nachfahre con Sklavenhändlern, hat Zeit seines Lebens versucht, dieses Erbe hinter sich zu lassen.Er hat sich als Goldsucher vom Hubschrauber aus in den Dschungel abseilen lassen, war damit nicht nicht ganz erfolglos, aber reich ist er davon auch nicht geworden. Seine Bestimmung hat der an der Pazifikküste, in einem Ort namens Guapi gefunden, dort leben hauptsächlich Afro-Kolumbianer,die Nachfahren von Sklaven, die die Spanier hier herbrachten, in der Hoffnung ähnlich lukrative Zuckerplantagen wie in der Karibik aufmachen zu können. Dies hat sich nicht realisieren lassen, heute ist das Gebiet eine gottverlassene Gegend. Dennoch, oder gerade deswegen hat Don Ca einen Großteil seines Lebens dort verbracht. Er und Franz haben sich dort kennen gelernt, bei einem Bootsausflug, der beinahe allen das Leben gekostet hätte, über 50 km aufs offene Meer hinaus in einer kleinen Nussschale, dieses Abenteuer schweißte sie als Freunde für alle Zeit zusammmen.
Es gibt eine Kultserie aus den Sechzigern. Die hieß „Alle Hunde lieben Theobald“. Ich habe sie zwar keine einzige Folge gesehen, und heiße auch nicht Theobald, aber denke mal, mir geht’s genauso. Egal wann und wo ich bin, sofort sind die Hunde und Katzen bei mir. Und ich kann ohne weiteres von mir behaupten, dass diese Zuneigung nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Insbesondere beim Essen bleibe ich nicht lange alleine. Ich frage dann die Hunde, warum sie eigentlich immer zu mir kommen, seien doch noch so viele andere da, und wo sie doch eigentlich als intelligente Wesen (Stiegenheländermischungen sind immer klüger als reinrassige Hunde, die man hier nur selten antrifft) sofort merken müssten, dass bei mir nichts zu holen ist. Sie intensivieren dann die Bettelei, indem sie den Kopf schief legen und lachen. Hilft aber auch nichts. Habe ich übrigens schon erwähnt, dass mein Fahrer noch einen weiteren Nebenjob hat, er ist nämlich auch Sprachlehrer. Wobei er sich im wesentlichen darauf beschränkt, mir die Ausdrücke beizubringen, die nicht im Lexikon stehen, die aber manchmal viel wichtiger sind. Und die gut geeignet sind, schnell Brücken zu den Menschen zu bauen. Ich kann hier nicht alle wiedergeben, aber ein Begriff gehört jetzt unbedingt erwähnt:
Chandoso, was wörtlich übersetzt „Fleckiger“ heißt. Es gibt kein Wort, was diese bedauernswerten Existenzen besser beschreiben würde. Und es gibt viele davon, ich meine, es liegt daran, dass sie viel Zeit haben, sich zu reproduzieren, mein Fahrer ergänzt, es gebe noch einen zweiten Grund, die geringe Dichte der chinesischen Restaurants in der Gegend. Nun fällt einem im Supermarkt auf, dass es meistens eine ganze Reihe gibt, in der alle möglichen Artikel von Tierfutter, Hundehalsbänder, bis hin zum Hunde-Shampoo zu finden sind. Insbesondere letzteres bräuchten die Chandosos, sonst würden sie ja nicht so heißen. Aber leider ist dieses Produkt nicht für sie gemacht, sondern nur für die Mascotos. Das sind die Hunde, Katzen, Papageien, Affen und sonstige Tiere (Anakondas und Kaimane ausgenommen), die der Mensch zu sich nimmt und für die er sorgt und auch gerne Geld im Supermarkt ausgibt, damit es ihnen richtig gut geht. Wobei ich das in Frage stelle, denn das Schoßhündchen, das von seinem wohlbeleibten Frauchen mit Pralinen versorgt wird, sieht nicht unbedingt besser aus, als die zum Teil sehr pfiffigen Chandosos. Nur wissen das die Chandosos noch nicht, sonst würden sie ja nicht unbedingt Mascoto werden wollen. Denn das ist das Ziel, das ich den Chandosos unterstelle, irgendwo als Mascoto unterzukommen, um alt zu werden. Alte Chandosos sieht man nämlich nicht.
Heute wieder auf der Straße. Es geht auf zu neuen Abenteuern in Richtung Süden in die Patia-Senke (400mNN) und dann 2000 Höhenmeter rauf nach Pasto. Die Patia Senke ist ebenfalls sehr heiß. Der Rio Patia fließt- im Gegensatz zum Rio Magdalena- in den Pazifik. Die letzten Jahre hat das ehrbahre Handwerk der Flößerei hier eine Renaissance erlebt, wobei tagsüber zu einfach wäre...Bei dieser Gelegenheit einmal eine Bitte: ich weiß, daß ich sehr viele Leser habe, aber nur 6 Einträge im Gästebuch (Danke dafür)...Das muß anders werden! Äußert euch, ihr müßt ja nicht den ganzen Namen eintragen, würdet mir eine Freude machen....Bis bald, Aya tolla Toni....
Am Mittag sind wir an der Grenze nach Ecuador. Die Fahrt dorthin über die Panamericana kann durchaus als abenteuerlich bezeichnet werden. Diese wichtige Straße will ihrer Bedeutung gerecht werden und wird weiter ausgebaut und dazu werden enorme Gesteinsmassen bewegt. Es ist eine Baustelle über 20 km. Die Wände oberhalb der Straße werden von den Steinen befreit, und deshalb ist der Fahrmodus Pare-Siga, d.h. stop&go, also Einbahnverkehr, auf der anderen Bahn wird gearbeitet. Deshalb brauchen wir für die 81 km auch 4 Stunden. Was mich sehr fasziniert, sind die Arbeiten des Straßenbaus, die unter Bedingungen stattfinden, die bei uns undenkbar wären. Dort arbeiten viele Menschen, denen werde ich zukünftig einmal eine Episode widmen.
Der Grenzort heißt Ipiales, dort erzählen sie uns schon, dass bis Dienstag alle Straßen in Nordecuador von Demonstrierenden blockiert sind. Ich verlasse mich ungern auf Hörensagen und wir fahren an die Grenze. Tatsächlich, quer über die ganze Grenzbrücke Absperrungen. Ich will’s genau wissen und marschiere nach Ecuador über die Brücke, keiner hält mich auf. Von drüben winke ich den Fahrer, aber der ist gesetzestreu. Also, ich war in Ecuador, aber mein Auto und mein Gepäck noch in Kolumbien. Meine Idee, den Wagen stehen zu lassen und drüben halt mit dem Taxi weiterzufahren, ist nicht so wirklich besser, weil die Straßen blockiert sind, und nichts fährt, außer vielleicht die Ambulanz und die Polizei… wenn ich meine Idee weiterverfolgen würde, müsste ich erst neun Stunden gehen, zwar besser, als wieder die Zeit im Auto zu verbringen, das alleine schreckt mich nicht, aber die zwei Taschen mitzuschleppen habe ich auch keine Lust. Es sind nicht die Gewerkschaften, auch keine NGO's , sondern die Gemeinden und Landkreise, die sich von der Zentralregierung mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung erwarten, also auf gut Bayrisch mehr Pulver für den Ausbau der Infrastruktur. Zum Spiel gehört auch, dass nicht gesagt wird, wie lange die Blockade dauern wird. Also steigen wir notgedrungen wieder ins Auto und fahren zurück, mit einem ziemlichen Brass. Nach 1 Stunde, in Pilcuan, etwa der Hälfte des Weges, ist erst mal Stopp. Wir hängen 3 Stunden hier fest, weil große Sprengungen im Gange sind und anschließend das Gestein von der Straße geräumt werden muss. Als es dann endlich weitergeht, auf dem Weg ständig Pare– Siga. Es ist schon 2 Stunden dunkel, als wir in Pasto sind. Wir beschließen, hier erst einmal zu bleiben und abzuwarten, ob sich in Ecuador etwas tut. Ungern würde ich auf dieses Reiseziel verzichten. Man kann sich darüber ärgern, oder man freut sich über die schöne Landschaft, die klare Luft, fangfrische Forellen und die Zeit, am Tagebuch weiterzumachen.
Man hat immer zwei Möglichkeiten: Entweder, man ärgert sich, oder man ärgert sich nicht. Ich habe mich zu letzterem entschieden. Es gibt immer noch etwas anderes zu tun, in der Gegend herumlaufen, am Ufer eines Sees sonnen, oder beobachten, wie so in Kolumbien ein Wochenende begangen wird. Ist schon etwas anders, aber auch wieder nicht. So kann man es sich auch einrichten, bin ja nicht auf der Flucht wie Richard Kimble. Wir sind oberhalb von Pasto in der Lagune de la Cocha untergekommen, in einem Hotel Sindamanoy, das seine besten Jahre bereits lange hinter sich hat. Es ist im Stil einer alten Berg-Hütte gebaut. Direkt gegenüber in See liegt eine kleine Insel, Corona. Dort kann man sich mit einem Boot hinschippern lassen, woauf ich aber verzichte.Das Haus liegt aber einzigartig, weshalb sich ein Besuch lohnt. Der See ist auf 2700m Normalnull und da kann es auch ganz nah am Äquator durchaus kalt sein. In der Nacht gehen die Temperaturen auf 6° herunter. Ich fühle mich fast wie zu Hause.
Von meinem vorübergehenden Zuhause kommt ein Anruf. Franz empfiehlt, als Ausflug ins Valle de Sigundoy zu fahren, da entspringe der Putamayo, damit ließe sich die Zeit sehr sinnvoll, unterhaltsam und lehrreich vertreiben, und es sei nicht weit. Don Transportador winkt sogleich ab, da fahren wir nicht hin, sagt er kurz. Ich frage garnicht erst, ich weiß schon, warum....
Die Warterei bietet eine gute Gelegenheit, einmal über die herrlichen Früchte dieses Landes zu berichten. Und zwar schwerpunktmäßig über die, die man bei uns nur schwer bekommen kann.
Fangen wir mit der Ananas an. Die gibt es natürlich bei uns auch, aber der Geschmack der frischen Ananas hier ist unvergleichlich besser als der der bei uns erhältlichen. Außer, man gönnt sich eine „Flug–Ananas“, was einmal sehr teuer ist und wegen der neuen Flugscham politisch unkorrekt ist und nur heimlich gemacht werden kann. Also, die Ananas hier schmecken einfach fantastisch, und da, anders als beim Gemüse, Obst überhaupt nicht gespritzt wird, kann man die Schale dann im heißen Wasser auskochen und einen tollen „aromatico“ in die Thermoskanne füllen.
Natürlich sind bei uns Bananen bekannt, und man kann auch die kleinen Bananen erhalten, die viel reichhaltiger und besser schmecken. Aber eben auch nur auf dem Weg zu uns im Flugzeug transportiert werden, und deshalb nicht so verbreitet wie die üblichen Bananen. Hier kann man sie grenzenlos und mit gutem ökologischen Gewissen genießen. Daneben gibt es auch noch die großen grünen Kochbananen, die Platanos, die fritiert werden und dann flachgedrückt, als sogenannter Patacon die Pommes Frites als Beilage zum Essen ersetzen.
Und dann erst die Maracuja. Die gibt es zwar bei uns auch, aber hier ist eine viel größere Variante zu erhalten, mit einem sensationell sauer fruchtigen Geschmack. Hier wollen immer alle Saft daraus machen, aber ich finde das rauslöffeln aus der Schale viel uriger und genussvoller.
Die Baumtomate habe ich bislang auch nicht gekannt.Sie sieht nicht nur so ähnlich aus, wie eine Tomate, sie schmeckt auch so, nur eben eher süß. Hat meines Erachtens einen Grund, warum man sie bei uns wenig bis gar nicht kennt.
Beim einem Spaziergang an einem Bergsee sah ich eine Frucht an einem Baum hängen, die Ähnlichkeit mit einer Papaya hat, nur kleiner ist.Ich fragte, wie sie heißt, es handelt sich um die Chilacuan. Man kann sie nicht roh verzehren, aber als Kompott ist es ein beliebter Nachtisch. Allerdings nicht mein Fall, sehr süß und wenig Geschmack darüber hinaus.
Ganz etwas merkwürdiges ist die Lulo. Sie ist etwa so groß wie eine kleine Orange und hat auch eine ähnliche Haut. Wenn sie reif ist, kann man sie in zwei Hälften schneiden und die auslöffeln. Das Fruchtfleisch ist Intensiv grün und sieht wie künstlich nachgefärbt aus. Auch der Geschmack mutet künstlich an, fast wie Gummibärchen, aber auf jeden Fall sehr sauer. Hat was, ich bin mir aber noch nicht sicher, ob auch für mich. Als Saft schmeckt die Lulo ganz gut, aber leider tun sie immer sehr viel Zucker rein und gucken einem ganz merkwürdig an, wenn man das verhindern will.
Dann die Guave, oder Guayabaja, wie sie hier genannt wird. Ich kann mich nicht erinnern, sie in Deutschland einmal in anderer Form als flüssig genossen zu haben, hier geht es ganz leicht. Ich finde ihren Geschmack nicht so berauschend, aber man sagt, sie sei auch wegen ihrer Ballaststoffe sehr reichhaltig. Hat trotzdem wenig Chancen, zu meiner Lieblingsfrucht zu werden.
Diesen Platz hat nämlich schon die Pitaya, oder auch Drachenfrucht. Es gibt sie mit einer wunderschönen pinken Schale, oder auch einer gelbe Schale, wie man sie hier meistens auf den Märkten findet. Im Inneren ist eine saftige, sehr süße, weiße Masse, mit schwarzen Körnern durchsetzt (Obacht beim zerkauen, kann abführend wirken). Da es eine Kaktusfrucht ist, muss man beim Aufschneiden darauf achten, sich nicht mit den feinen aber dennoch schmerzhaften Stacheln zu stechen. Sie stammt ursprünglich aus Mittelamerika und dem nördlichen Südamerika, wo sie auch heute noch angebaut wird. Sie wurde dann auch nach Südostasien verbracht, wo sie offenbar auch gut gedeiht und gern gegessen wird, obwohl sie dort nicht endemisch ist.
Nach zwei Tagen Ausharren am Bergsee wird mir ein bißchen fad. Im Fernsehen kommt keinerlei Bericht über den Streik der Behörden in der Nordprovinz Quarchi, weder im kolumbianischen, und schon gleich gar nicht im ecuadorianischen Fernsehen.Man muss sich mal die Analogie in Deutschland vorstellen. Das wäre in etwa so, als ob der Landrat von,sagen wir Pfaffenhofen, der Auffassung wäre, dass die Zentralregierung ihn nicht genügend berücksichtigt und auch keine adäquaten Mittel zur Verfügung stellt. Wo er doch dringend das Schwimmbad renovieren müsste und außerdem Schulbusse beschafft werden müssen. Um seinen Wünschen Nachdruck zu verleihen, würde er dann seine Schneepflüge, für die er im Moment ja sowieso keine Verwendung hat, quer über die A9 stellen und die gesamte Nord-Süd Achse der Bundesrepublik damit blockieren. Der Vergleich ist sicher etwas überzogen, mit der ganzen Flüchtlingssituation gibt es durchaus Grund für Spannungen in Ekuador, aber im Wesen trifft er schon. Und dann stelle man sich vor, dass Im Fernsehen und in den sonstigen Medien gar nicht darüber berichtet werden würde, sondern dass wir auf CNN Latinamerica und das Internet angewiesen wären. Dass also nicht so, wie wir es kennen, eine Sondersendung nach der anderen im Fernsehen käme, wo alle echten und selbsternannten Experten die Sache aus allen Blickwinkeln und rauf und runter beleuchten.
Und vor allen Dingen Googlemaps, natürlich würde dort die Straße als gesperrt verzeichnet, nicht einmal das ist hier passiert. Und wir sitzen an dem Bergsee und sind auf mündliche Informationen angewiesen, die man glauben kann oder auch nicht. Ich hab jedenfalls am Montagmorgen die Faxen dicke und sage zum Fahrer zurück Marschmarsch. Er bestärkt mich, selbst wenn wir jetzt aushalten würden bis die Straße wieder auf ist, so könne sie jederzeit wieder zugemacht werden und dann säßen wir in Ekuador in der Falle ohne jede Chance, wieder zurück zu kommen. Auch ein gültiges Argument. Und so machen wir die ganze Strecke rückwärts, allerdings gibt es einen Vorteil, wir haben die Panamericana fast für uns alleine, weil eben nur der lokale und nicht der Durchgangsverkehr unterwegs ist. Als wir etwas ermattet zurück kommen, die Fahrerei unter diesen Bedingungen ist schon anstrengend, habe ich das Vergnügen, einen weiteren Paradiesvogel aus dem Freundeskreis Purace kennenlernen zu dürfen. Jörg sitzt am Tisch, ein weiterer Freund von Franz aus der deutschen Gemeinde. Jörg wird von allen hier Guadua (hoher Bambusstamm) genannt. Er sagt, daß er morgen nach Buga fahren will, das liegt nördlich von Cali. Ich lade mich unverfroren ein und wir verabreden uns für den nächsten Morgen um 7:00. So packe ich den Koffer aus und gleich wieder ein.
Jörg ist 55 Jahre alt und stammt aus dem Sauerland, wo er sich vor 40 Jahren einbildete, Schreiner werden zu wollen. Offenbar war sein Meister sehr zufrieden mit ihm, doch die Wirrnisse der Jugend führten dazu, dass er nach einiger Zeit die Ausbildung hingeschmissen hat. Darüber hat sich sein Meister so gegrämt, dass er einen Herzkasper erlitt, was wiederum dazu führte, dass Jörg aus der Enge seines Heimatorts fliehen musste, um sich die Welt anzuschauen.
Unter anderem kam er dann eben auch durch Popayán, und wie ist der Zufall so wollte, lief ihm dabei ein sehr hübsches Mädchen über den Weg. Das führte zum abrupten Abbruch seine Weltreise und der Notwendigkeit, sesshaft zu werden und sich seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Sich an das erinnernd, was er von seinem Meister schon alles beigebracht bekommen hat, und überlegend, was in diesem Land als Baumaterial verfügbar war, machte ihn zum weltweit anerkannten Spezialisten für Bambusbau. Zur Zeit der Neunziger hatten die Indianergemeinschaften sehr viel Geld für Infrastrukturmaßnahmen, und waren sehr offen für die Wiederaufnahme der jahrtausende alten Tradition des Bambusbaus. Die GTZ hat auch mit Mitteln den Wiederaufbau finanziert, was zu einer guten Auslastung von Jörgs Firma führte. Häufig ist es ja so, dass erst Menschen aus anderen Kulturkreisen kommen müssen, damit man sich wieder auf die eigenen Fähigkeiten besinnt. So war es auch in diesem Fall, zuerst baute Jörg Brücken über Flusstäler, so stabil, dass sogar beladene Lastwagen darüber fahren konnten.
Damit hat er sich schon in jungen Jahren eine große Reputation erworben, und immer nur noch größere Brücken bauen war ihm dann auch zu fad. Also erweiterte er sein Repertoire auf den Hausbau, und wer von euch 2000 auf der Weltausstellung in Hannover in dem großen Bambushaus war, daran hat Jörg auch mitgewirkt. Seit der Zeit ist er eine Kapazität des Bambusbaus, und tingelt In der ganzen Weltgeschichte herum, von Südostasien über Indien und Afrika und den Amerikas sowieso. Wer von euch gerne einen Kurs im Bambusbau machen möchte, der kann sich an ihn wenden, dann arrangiert er einen Workshop an jedem gewünschten Ort der Welt. Ach so, was ich vergessen habe, seine schöne Frau zieht ihn immer wieder hierher zurück, und jetzt baut er ihr hier auch ein Haus, wo er es doch schon so gut kann…Sieht also ganz so aus, als ob er seinen Ruhestand nicht im Sauerland verbringen will. Wie stellen wir in fröhlicher Runde ganz richtig fest: gewöhnliche Lebensläufe enden nicht in Popayan...
Was nun führt uns hier her, in eine Finca oberhalb von Buga? In eine wunderschöne alte Villa, umgeben von hohen Bäumen, Teichen und saftigen Wiesen? Sie gehört den Nachfahren von Zuckerbaronen, die zu Wohlstand kamen durch den Anbau und Verkauf von Zuckerrohr, das in der Gegend um Cali das Landschaftsbild dominiert. Das Anwesen liegt oberhalb eines Flusses. Im Überschwemmungsgebiet des Flusses unterhalb des Hauses wächst ein großer Bambuswald. Schon seit einigen Jahren ernten und vermarkten die Brüder unter Beteiligung von Jörg diesen Rohstoff, und jetzt kam Jörg auf die Idee, ob man aus dem Areal nicht eine florierende Eco-Lodge machen könnte. Solche naturnahen Unterkünfte gibt es ja allenthalben bereits, und sie sind sehr erfolgreich. Dort schlafen die Gäste sehr nahe an der Natur, damit könnten die Besitzer neue Kunden finden, der Vorteil für Jörg wäre, dass er hier sehr viele verschiedene Bauten in einer Art lebender Ausstellung vorstellen könnte, und heute findet eine Besprechung statt, in der Details und ein Masterplan entstehen soll. Ich halte das für eine sehr gute Idee, zumal die drei Brüder ein gutes Gespür für Stil haben. Sie haben das Haus ursprünglich erhalten, es liegt nirgends wo Müll herum, es gibt keine Schmuddelecken, und die gesamte Anordnung des Anwesens ist sehr harmonisch. Und das ist für Kolumbien wahrlich keine Selbstverständlichkeit. also die Voraussetzungen sind gut.
Wir gehen an dem Bambuswald spazieren, als wir am Fluss ankommen schauen wir ein bisschen aufs Wasser, und von irgendwo kommt ein kleines schwarzes Insekt auf mich zugeflogen. Ich halte es für eine Fliege, aber als sie sehr zielstrebig auf meine Oberlippen zu fliegt und mich sehr schmerzhaft sticht, weiß ich, dass ich offensichtlich hier eine tropische Wespe störe, die sich durch mich bedroht fühlt. Wir drehen sehr schnell um und ich habe eine bessere Betäubung, als ich sie je beim Zahnarzt erhalten habe, Und das für die nächsten zwei Tage, In denen ich mit einer extrem geschwollene Oberlippe herumlaufe und rede und aussehe wie Donald Duck. Am Abend sitzen wir auf der traumhaften Veranda bei einem guten chilenischen Rotwein und genießen die Stimmung. Such is live in the Tropics.
Am Morgen brechen wir nach einem gemütlichen Frühstück auf der Terasse nach Cali auf. Dass man aus Bambus Brücken bauen kann und Häuser, hatten wir schon. Aber Jörg wäre nicht Jörg, wenn er nicht überlegen würde, was man sonst noch alles daraus machen kann. Vor einigen Jahren hatte er versucht, daraus Parkett herzustellen. Das gelang auch, war jedoch wegen des hohen Verschnitts wenig wirtschaftlich und wurde aufgegeben.
Jörg hat auch ein Auto gebaut, dessen Karosserie die Form einer Möbiusschleife hat. Das ist ein sehr elegantes Elektrofahrzeug, das aber den Durchbruch noch vor sich hat. Er kommt einfach nicht dazu, mit dem gebotenen Nachdruck hier die Entwicklung voranzutreiben. Wenn jemand aus meinem geschätzten Lesekreis für so etwas einen faible hat, oder noch Investitions-Möglichkeiten sucht, ich stelle gerne den Kontakt her. Jörg bräuchte auch Hilfe bei der Verbesserung der Steuer-Elektronik, digitale Technik ist für ihn als Schreiner und Zimmermann nicht unbedingt die Kernkompetenz, obwohl ich schon sagen muss, dass er sowohl mechanisch als auch elektronisch gut Bescheid weiß.
Die neueste Idee ist, aus Bambus Textil und Papier herzustellen.Jörg, kam auf die Idee, ob denn statt GFK nicht Bambusfaser-verstärkter-Kunststoff ein geeigneter Ersatz wäre. Zumindestens wäre er noch einmal 25 % leichter. aber so ganz einfach ist das Herstellen nicht. Im Prinzip müsste der frisch geerntete Bambus über Walzen mit hohem Druck so zerquetscht werden, dass sich daraus der Rohstoff Faserbrei für Papier- beziehungsweise Textilproduktion herstellen lässt. Man muss sich vorstellen: der Bambus wächst am Tag etwa 10 cm. Nach 180 Tagen hat er dann etwa 20 m Höhe und wächst nicht weiter. Damit er aushärtet und die zur Konstruktion notwendige Festigkeit erhält, lässt man ihn dann aber noch ein halbes Jahr stehen, bevor man ihn umsägt. Dann wird er getrocknet, mit Salz immunisiert und ist als Baumaterial fertig.
Für die Papier- beziehungsweise Textilherstellung kann man sich das aber sparen, man erntet den Bambus sofort, wenn er ausgewachsen ist. Dann wird er mit 1 t Gewicht gequetscht, die Hoffnung ist, dass dann der Faserbrei einen geeigneter Rohstoff darstellt. auf dem Rückweg fahren wir deshalb nach Cali hinein. Diese Stadt hat ja aus einem bestimmten Grund Berühmtheit erlangt, und ich muss sagen, dass aufgrund der Hitze und des leidlichen Verkehrs zudem auch Schöneres vorstellbar ist, als sich hier zu bewegen. Aber es gibt hier eine Niederlassung einer schwedischen Firma, die massive Zahnräder und Antriebsketten herstellt, Und sowas braucht man, wenn man vorhat, Bambus zu zerquetschen. Jörg hat zwar schon einen Prototypen, mit dem er die prinzipielle Machbarkeit bewiesen hat, im Prinzip nichts anderes, als eine Zuckerrohrpresse. aber Bambus ist halt kein Zuckerrohr, deshalb muss alles wesentlich fester und größer sein. Später schauen wir dann noch bei einer Niederlassung von SKF vorbei (hießen die nicht mal Kugelfischer und waren in Schweinfurt?), die stellen Wälzlager her, und die braucht man halt auch mit der entsprechenden Stabilität. War alles sehr erfolgreich für Jörg, und dann kann man schon einmal darüber hinwegsehen, dass man sich in einer solch unwirtlichen Stadt bewegen hat müssen.
Auf dem Heimweg frage ich Jörg, was denn mit dem Saft passieren würde, der beim Pressen aus dem Bambus heraus läuft. Ich komme mir sehr schlau vor, weil ich diese Frage stelle, aber Jörg antwortet mir, erst seit dieser Saft sehr giftig, weil er Blausäure enthalte, aber die würde an der Luft nach einigen Tagen wegoxidiert sein, und dann können man daraus Bier brauen, das ginge und schmecke noch nicht einmal schlecht. Das sei schon ausprobiert worden.
es muß auch einmal ohne Tagebuch gehen.
Eigentlich wollte ich diesen Aspekt Kolumbiens gar nicht erwähnen, weil er sehr unschön ist. Aber er gehört dazu und er demonstriert die ganze Widersprüchlichkeit dieses Landes. Ich habe ja schon berichtet, dass es hier viele Lager gibt, zum einen die Polizei und das Militär, aber auch diverse Paramilitärs, die Guerilla, die sich in viele Splittergruppen aufteilt, und die auch nicht alle gut Freund sind. Und dann natürlich die Narcotraficantes, die Geld nicht zählen, sondern abwiegen, weil viel davon da ist und Abzählen zu lange dauern würde. Von allen zu allen gibt es Querverbindungen, die aber kaum einer durchschaut. So verfeindet die Blöcke auch sind, so sehr haben sie eines gemeinsam: Sie sind alle nicht zimperlich. In Punkto Blutrünstigkeit dürfte es kaum anderswo schlimmer sein. Es ist verbrieft, dass politsche Gegner, oder Gegner überhaupt gern mit der Motorsäge hingerichtet werden. Dies machen sie aber nur untereinander, die Touristen lässt man im Allgemeinen in Ruhe. Und die einfachen Leute meist auch, wenn sie sich nicht in etwas verstricken oder plötzlich meinen, eine Zeugenaussage machen zu müssen.
Als wir letzten Montag bei las Rosas vorbeifuhren, sagte mein Fahrer ganz beiläufig, dass es hier ein ganz leckeres Hühnchen mit Zitrone (Pollo Lemon) gegeben habe. Ich ging ihm an den Haken und fragte „und warum heute nicht mehr?“. Und dann kommt die ganze Geschichte, das sei ein sehr pfiffiger junger Mann gewesen, keine 40, exzellenter Koch, in seinem ganzen Erfolg habe er nur einen Fehler gemacht. Er hätte sich in die Frau eines anderen verliebt, die noch nicht einmal sehr schön, sondern eher doppelt so breit wie hoch gewesen wäre, und dann hätte der gehörnte Ehemann Auftragskiller bestellt, aber nicht etwa, um ihn gnädigerweise umzubringen, sondern um ihn zu zwingen, sich selbst zu entmannen. Er hätte dann sein Restaurant verkauft und sei fortgegangen. Ob man das glaubt oder nicht, solche Geschichten üben auf die Leute hier schon eine gewisse Faszination aus. Beim Mittagessen frug ich weiter nach und erkundigte mich über diesen Geschäftszweig. Don Transportdor sagt, es sei eine ganze Industrie, und der Preis für einen Auftragskiller hänge davon ab, wie schwierig und bedeutend das Opfer sei. Der Minimalrekord sei aber ein junger Kerl in Barranquilla gewesen, der einen anderen für 2000 Pesos umgebracht hätte, das ist der Gegenwert von 0,50 €. Das ist so unglaublich, vor allen Dingen auch deshalb, weil sehr hohe Strafen verhängt werden, 40-80 Jahre kolumbianisches Gefängnis. Schreckt aber offenbar niemand ab. Vor allem auch, weil die Gefahr eher gering ist, erwischt zu werden. Gewalt als anerkanntes Mittel zur Problemlösung. Man sagt, wenn man sich mit dem Falschen streite, dann komme "el con el Moto", also der mit dem Motorrad...Ich nehme mir jedenfalls vor, noch weniger vorlaut zu sein und jeden Streit zu vermeiden,ist hier wohl besser so.
Heute nachmittag war dann ein berichtenswertes Ereignis ganz in der Nähe. Es gibt hier einen Nachbarn, mit dem man sich im oben gesagten Sinn besser nicht anlegt. Und der hat wohl Grund eines anderen eingezäunt und damit für sich beansprucht, weil das gerade so gelegen kam. Und auf dem fremden Grund ein schönes großes Zufahrtstor bauen lassen, das was hermacht. Nun fand das der Andere gar nicht gut und war so mutig, mit dem Anwalt gegen seinen Widersacher vorzugehen. Er bekam sogar Recht, was allein schon bemerkenswert ist, und dann kam heute ein Bautrupp mit Polizeischutz und riß das Tor ab. Wir haben es mitgekriegt, weil alle ihre Fahrzeuge bei uns abstellten. Ich wollte natürlich zuschauen, aber mein Gastgeber riet mir vehement ab, ich solle da nicht hin, man wisse nie, was da so passieren würde. Aber meine Neugier war größer, und die Szenerie war durchaus gespenstisch. Da standen mehrere dick geschützte und bewaffnete Polizisten und Arbeiter rissen die Mauern nieder und verluden sie auf einen Lastwagen. Es ist zwar nichts Dramatisches passiert, aber Franz wird mich über die weitere Entwicklung am Laufenden halten.
Weiß eigentlich einer von euch, was ein Konsul genau macht? Na klar, aus der Schule wissen wir vom Geschichts- beziehungsweise Lateinunterricht, dass die Römer Konsuln (Ist dieser Plural überhaupt richtig?) hatten und dass das ganz wichtige Leute waren. Und dass es heute im Ausland deutsche Konsuln gibt und auch Honorarkonsuln, das habe ich irgendwie auch mitgekriegt. Und dass die irgendwie die Bundesrepublik Deutschland vertreten, das wohl auch. Aber dann beißts bei mir schon aus. Vielmehr kann ich jetzt in der Vergangenheit reden, denn am Samstag habe ich einen Konsul kennengelernt. Der heißt Gerd, lebt in Cali, und vertritt die Bundesrepublik Deutschland als Honorarkonsul in Süd-West-Kolumbien. Viel Zeit zum Reden hatten wir nicht, also das bißchen, was ich jetzt verstanden habe, muss reichen. Gerd ist Auslandsdeutscher in Kolumbien in zweiter Generation und ist eine Außenstelle der deutschen Botschaft in Bogota. Dort, in der Hauptstadt des Landes, sitzt der Botschafter, mit einigen Beamten und Angestellten des Auswärtigen Amtes. Dass das für unser Land alleine schon teuer ist, mit all den Zuschlägen, die Menschen erhalten, die so einen Job auf sich nehmen, dürfte klar sein, und dass ein Land wie unseres immer unter Sparzwang steht, wissen wir ja auch alle.
Andererseits ist Bogota für viele in Kolumbien nur durch eine mehrtägige Reise zu erreichen, und wenn man zum Beispiel seinen Pass erneuern muss, oder irgendeine andere amtliche Verrichtung braucht, kann es für die deutschen Bürger in Kolumbien schon hilfreich sein, wenn dezentrale Außenstellen existieren. Und am besten ist es natürlich, wenn der Steuerzahler dafür nicht allzu viel ausgeben muss. Dafür hat man die Honorarkonsuln, das sind nicht etwa Konsuln, die gegen Honorar arbeiten, sondern die das der Ehre halber ausführen. Also sucht man sich deutsche Staatsbürger, die bereit sind, für die Erstattung der Kosten diese Rolle als Ehrenamt zu übernehmen. Gerd hat mir gesagt, wie viel er zum Betreiben seines Konsulats kriegt, ich denke, ich kann das hier nicht wiedergeben, aber glaubt mir, viel ist es nicht. Damit betreibt er dann mit örtlichen Angestellten und knappen Öffnungszeiten (ist billiger) ein Konsulat. Er betreut in seinem Bereich 1400 Deutsche, er macht ab und zu gesellige Treffen, wie zum Beispiel jüngst anlässlich des 3. Oktober, ist also auch so eine Art Bindeglied der Expats. So entstehen natürlich Freundschaften in der Fremde, außerdem ist es schon auch eine Ehre, Konsul zu sein, letztes Jahr wurde ihm sogar das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Aber eigentlich wollte ich ganz etwas Anderes erzählen. Auf meiner Tour mit Jörg, dem Bambuspropheten, hat er mir beiläufig erzählt, dass Samstags am Flughafen Cali immer Stammtisch der deutschen Flieger sei. Und ob mich das nicht interessiere, wo ich doch auch aus dem Bereich stamme. Am nächsten Samstag würde er wieder nach Cali fahren, und könnte mich mitnehmen. Ich springe sofort darauf an, weil das natürlich für mich reizvoll ist. Dann kommt aber raus, dass Jörg von Cali aus wegfliegt, weil er in Panama einen einwöchigen Kurs im Bambusbau hält. Da ich keine Lust habe, mit einem der lebensgefährlichen Sammeltaxis zurückzureisen, verwerfe ich den Gedanken. Beide, Franz und Jörg, sagen dann ziemlich schnell, frag einfach den Konsul, ob er dich zurück fliegt. Soll ich mir das wirklich trauen? Ja freilich, er freue sich bestimmt und mache das gerne, so kriege er Flug–Stunden zusammen! Gesagt getan, Samstag Mittag bin ich am Flughafen und komme mit Gerd in den Sicherheitsbereich. Seine Frau Sara und der Hund Bruno dürfen auch mit. Der Flieger, eine PIPER PA-28R-180 Cherokee Arrow wird aus dem Hangar gezogen, Gerd gibt einen Flugplan auf und macht die Checks, ist genug Sprit im Tank und hoffentlich kein Wasser drin, ist der Ölstand o. k., gehen die Flaps, und schon steigen wir ein und lassen den Motor an. Nach weniger als 1 Minute Taxiing sind wir schon auf der runway und haben die Freigabe. New York, da kannst du dir echt eine Scheibe abschneiden!
In der Luft wird das ganze Ausmaß der Zuckerrohrfelder deutlich, und von ATC kommt die Anweisung, auf 8500 Fuß zu steigen. Gerd schimpft fürchterlich, weil er sich gegängelt fühlt. Er habe einen neuen Motor, und der werde beim Steigen gerne heiß (Muß mich das jetzt beunruhigen?). Auch dass uns der ATCO in die Nähe der Berge führt, hält er für idiotisch. Eine weitere Anweisung nervt ihn, wir sollen uns hochspiralen und verlieren so wertvolle Reisezeit. Irgendwann halten wir dann Kurs auf einen der nahe liegenden, bereits recht hohen Berge, und dieser Monchiche Tigre ist nur wenig unter uns, als wir ihn erreichen. Macht aber einem so alten Hasen wie Gerd nur wenig aus. Mittlerweile fliegen wir im Regen, aber wir sehen noch genug für VFR. Popayan kommt schon in Sicht. Ich realisiere, dass die Einflugschneise von Popayan fast genau über die Casita Bavierita geht, sitze aber leider auf der rechten Seite und kann das Haus nicht fotografieren. Am Flughafen angekommen statten wir dem Tower einen Besuch ab, Gerd muss ja den Flugplan für den Rückflug aufgeben. Wir haben nur wenig Zeit einen Kaffee zu trinken, weil die drei wieder nach Cali zurückwollen und das Wetter sich verschlechtert. Beim schnellen Kaffee erzählte mir Gerd, was ich oben geschrieben habe. Und ich solle doch wieder nach Cali kommen, dann würden wir länger und mit einem anderen Flieger fliegen… Mir wird bewusst, dass ich nur noch eine gute Woche hier bin und sage ihm, dass das leider wohl nicht mehr klappen wird.
Es gibt in Popayán einen Spanier, der nach dem Ruhestand aus Spanien hierher nach Kolumbien ausgewandert ist. Frag mich nicht warum, ich müsste raten. Da ihm der Ruhestand zu fad war, hat er hier einen Feinkostladen aufgemacht. Dort gibt es gutes Brot, pan chocolat, Olivenöl, Hartkäse, und natürlich allerbesten Wein, denn Chile, Argentinien, Peru und sogar Süd-Brasilien produzieren mittlerweile exzellente Weine. Als ich gestern noch meinen schönen Flug mit dem Uber vom Flughafen kommend dort vorbeifuhr, gab’s nur eines: Stop! Zur Feier des Tages habe ich mich durch Sortiment gekauft. Und am Sonntag wir haben dann eine kleine Party oben am Berg gefeiert. Schön langsam strengt mich das ständige Spanisch sprechen an, und zu fortgeschrittener Stunde habe ich den Spieß umgedreht und gesagt, jetzt, liebe Leute, lernt ihr mal Bayrisch! Und wir fangen mit was leichtem an, nämlich mit „dugwampatauhudu“! zu meiner großen Freude haben alle mitgemacht, und damit das ganze auch dokumentiert werden kann, habe ich mein iPhone rausgezogen und alle aufgenommen, die da waren und mitgemacht haben. Das wird glaube ich ganz lustig, aber ich stelle es erst ins Netz, wenn ich alle erwischt habe, und ich kann euch versprechen, mir kommt keiner aus.
Von der Dominanz des nützlichen Federviehs habe ich glaube ich schon berichtet. Und auch von den Vorteilen, die mich überzeugt haben. Nun ist Dona Organisatodo als vorausschauende Frau auf den Gedanken gekommen, dass Stillstand nichts für sie ist. Sie denkt also daran, auf Basis von Eiern und Geflügel ein weiteres Standbein aufzumachen. Dazu muss man, wogegen ich aus naheliegenden Gründen war, Eier opfern, die sonst ein herrliches Omelette gegeben hätten…. Also wurde eine Leihhenne ausgemacht, die sechs Eier auszubrüten. Heute sind sie geschlüpft, und somit ist der Hühnerbestand (zwei sind leider auf der Strecke geblieben) um satte 25 % angestiegen! In etwa zwei Monaten wird man sagen können, ob Hahn oder Henne, aber für Don Claudio besteht keine Gefahr, auch wenn er schon recht alt ist, er wird wahrscheinlich das Gnadenbrot bekommen, weil keiner Lust auf so einen zähen Gockel hat.
Das mindeste, was man erwartet, wenn man den Namen Panamericana hört, ist eine vierspurige Straße. Wer aber einmal hier in Südkolumbien war und das eindrucksvolle Gebirge der Anden gesehen hat, weiß, dass das leichter gesagt ist, als getan. Auf wenigen Kilometern fährt man von 500 m über dem Meer auf 3000 m rauf und wieder runter, in ungeheuer wilden Schluchten, die das locker von Vulkanen aufgeworfene Gestein bildet. Hier lässt sich keine Autobahn nach deutschen Maßstäben bauen.
Wer ein paar Eindrücke von der Panamericana in dieser wilden Gegend haben will, schaut sich meinen Road Movie dazu an. Ist auch nicht langweiliger als die Bayern 3 Space Night, oder die nächtlichen Zugfahrten im ARD. Aber ich schweife ab, denn ich will erzählen, was Kolumbien tut, damit diese Straße ihrer Bedeutung gerecht ausgebaut werden kann. Und da muss ich echt anerkennen, auf einer riesigen Strecke zwischen Pasto und dem Grenzort Ipiales wird wie verrückt gebaut. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt Abschnitte, in denen die Schneisen einfach durch weiches Gestein gefräst werden das ist wenig beeindruckend. Aber was auf den 2000 m hohen Abhängen abgeht, das verdient Erwähnung. Um erst einmal die Fläche für 4 Spuren herzustellen, wird in diese Hänge tief hineingefräst, dann müssen natürlich die Wände oberhalb der neuen Straße befestigt werden. Und das ist spektakulär. Da werden hunderte von Metern nach oben von den Baggern kleine steile Steigwege geschaufelt, auf denen die Bagger sich hocharbeiten. Diese Baggerfahrer müssen Feinmotoriker sein, denn einmal den Hebel in der falschen Richtung bewegt und sie stemmen sich selbst aus der Wand und kommen unten als Pressstahl an. Andere Arbeiter werden von ganz oben abgeseilt, über mehrere 100 m und setzen Löcher für Spreng-Bohrungen oder putzen die Wand aus und setzen Befestigungsanker. Leider konnte ich das wegen dem Pare-Siga Betrieb nicht fotografieren, es wäre zu gefährlich gewesen, anzuhalten. Vielleicht habe ich aber auch Glück und der Freund meines Fahrers, der an dieser Baustelle die Aufsicht hat, hält sein Versprechen und schickt ein paar Bilder.
Zur Zeit ist es sehr ruhig auf der Casita Bavierita. Grund ist, dass viele derzeit irgendwo im Land oder in der Welt unterwegs sind. Insofern genießen wir ein bißchen die Stille und unterhalten uns am knisternden Kaminfeuer. Gestern Abend sprechen wir über die Möglichkeiten, dass hier leerstehender Wohnraum von einer der muchachas genutzt werden könnte. Daraufhin sagte Franz, das Angebot habe er gemacht, aber das wäre abgelehnt worden, wegen dem Duende. Was ist denn das schon wieder, frage ich. Also, der Duende ist ein kleines Männlein, dessen Hände und Füße nach hinten gedreht sind. Er lebt im Wald und trägt einen Hut. Er liebt seinen Lebensraum, ist bevorzugt in der Wildnis, aber von Zeit zu Zeit wagt er sich auch in die Umgebung der Städte vor. Also könnte er durchaus auch in der Umgebung der Casita Bavierita anzutreffen sein, weil hier auch viele Bäume stehen. Er ist auch in der Lage, andere Gestalten anzunehmen, etwa die eines Polizisten oder auch eines Nachbar. Ich lache über diese Geistergeschichten, aber dann meint Franz , dass der Geisterglaube sehr lebendig ist, trotz der ganzen modernen Lebenswelt, die auch hier Einzug gehalten hat. Um es mir zu beweisen, fragt er spontan Doña Organisatodo, was sie so zum Duende sagen könne. Und dann berichtet sie, und ich habe keinerlei Zweifel, dass dies aus tiefster Überzeugung geschieht.
Einmal sei sie in ihrem Heimatort an den Hängen des Puracè mit ihrer Schwester am späten Nachmittag nach Hause gegangen, und vor ihr sei in einigem Abstand ein altes Weib gelaufen. Sie dachten beide, das sei die Ihnen bestens bekannte Nachbarin. Sie wollten sie einholen, aber umso mehr sie beschleunigten, umso größer wurde der Abstand, und dann bog das Wesen nicht nach links in das Nachbargehöft ab, sondern nach rechts. Als die beiden Schwestern den Weidezaun erreichten, verloren sie sich plötzlich gegenseitig aus den Augen. Und fanden sich lange Zeit nicht wieder. Es gibt für Doña Organisatodo nur eine Erklärung, das Hutzelweibchen war der verkleidete Duende, der seinen Lebensraum, den Wald, von den Menschen freihalten will, der nicht möchte, dass dessen Wildnis bezähmt wird und der die Menschen, die ihm zu nahe kommen deshalb erschreckt. Als Doña Organisatodo davon erzählt, schüttelt es sie immer noch.
Ich frage den Ethnologen, wie er sich dies erklärt. Er sagt, es sei eigentlich ganz einfach. Diese Geisterglaube beruhe auf dem Wunsch, das rechte Maß zu finden. Der Duende sei somit sozusagen das Korrektiv der übermäßigen Ausbeutung der Natur. Und es ist überhaupt kein Widerspruch, dass junge Menschen, die sich bestens in den sozialen Netzwerken auskennen, am Vormittag am Bankautomaten Geld abheben und sich am Abend vor dem Duende gruseln.
Wie sagt Heinrich Heine in seinen „Krähwinkels Schreckenstagen“ vor 165 Jahren?
„Ausländer, Fremde, sind es meist,
die unter uns gesät den Geist
der Rebellion. Dergleichen Sünder,
Gottlob! sind selten Landeskinder.“
Vor einiger Zeit begannen ja in Ekuador Unruhen, weshalb wir nicht ins Land kamen. Die haben sich in den letzten zwei Wochen dramatisch zugespitzt, Mittlerweile gibt es regelrechte Straßenschlachten im ganzen Land mit vielen Toten und Verletzten. Die Unzufriedenheit entzündet sich oberflächlich an der Streichung von Subventionen für Treibstoff. Bereits am Mittwoch hatte Moreno als Reaktion auf anhaltende Proteste eine nächtliche Ausgangssperre verhängt und den Regierungssitz von Quito nach Guyaquil verlegt. Die Massenproteste wurden ausgelöst durch die Aufhebung der Subventionen für Benzin und Diesel. Die Preise für Kraftstoff haben sich inzwischen mehr als verdoppelt, wobei man sagen muß,dass der Liter jetzt vierzig statt bislang 20 Cent kostet, was ja immer noch ein ökologischer Irrsinn ist. Das konnten sich die Länder nur leisten, weil sie selbst produzieren. Wie alle ölproduzierenden Länder Südamerikas leidet aber auch Ekuador unter dem niedrigen Ölpreis, besser gesagt, unter dem weiter nördlich angezettelten Wirtschaftskrieg.
Ecuador steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Regierung hat einen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 4,2 Milliarden US-Dollar erhalten und sich verpflichtet, im Gegenzug öffentliche Ausgaben zu kürzen. Der Abbau der in den 1970er Jahren eingeführten Kraftstoffsubventionen ist Teil der Verpflichtungen. Zusätzlich sprudeln die Einnahmen nicht mehr so, da ja Öl nach Fracking und Ölschiefer nicht mehr so viel einbringt. Aber dass das Benzin teurer wird, ist nur ein äußerer Anlass, vielmehr bricht sich eine tief sitzende Unzufriedenheit in der indianischen Bevölkerung Bahn,siehe dazu meine früheren Anmerkungen.
Nun sagt die Regierung Ecuadors, dass diese Unruhen von draußen importiert worden sind, und sie wüßten auch die Schuldigen, das seien die Flüchtlinge aus Venezuela.Kommt einem ja irgendwie bekannt vor.
Nun sind das weiß Gott keine Weisenknaben, ganze Verbrecherviertel aus Caracas sind hier auf den Straßen unterwegs. Die kolumbianischen Behörden haben sich angewöhnt, sie in Gruppen laufen zu lassen, vorne und hinten einen Polizeiwagen. Diese Flüchtlinge sind natürlich auch für Ekuador sozialer Sprengstoff, und jetzt ist eben das Fass übergelaufen. Aber eines ist ganz sicher, diese armen Teufel sind keine Agenten Maduros, die hergekommen sind, um Kolumbien oder Ekuador zu destabilisieren. Viel mehr ist diese ganze Subkontinent auf der Suche nach sich selbst, und es kann gut sein, dass das nur ein Anfang ist. Jedenfalls hat die Deutsche Welle am Samstag berichtet, dass sich auch in Chile Proteste erheben. Da haben sich tausnede von Indianern bemerkbar gemacht und gesagt, dass der Columbus Day kein Grund zum Feiern sei. Am 12. Oktober 1492 ist ja Columbus auf den Bahamas gelandet, und die Indianer in Chile sagen jetzt, das sei der Beginn einer Invasion und kein Grund zum Feiern. Wen's interessiert:
https://encyclopedic.co.uk/2019/10/13/chiles-indigenous-groups-decry-discrimination-on-columbus-day/
Als junger Physikstudent musste ich mich entscheiden, ob ich als Wahlfach Mineralogie, Meteorologie, oder Astrophysik wähle.Zur Orientierung las ich ein Buch von Rudolf Kippenhahn mit dem Titel „100 Milliarden Sonnen“. Man ging damals davon aus, dass in unserer Milchstraße insgesamt 100 Milliarden Sterne sind, deshalb der Titel. Insbesondere in der Astrophysik haben sich seither so viele neue Erkenntnisse ergeben, dass ein Großteil des Buches wahrscheinlich umgeschrieben werden müsste. Auch die Zahl der Sterne in unsere Galaxie ist nach neuesten Wissen viel größer, heute geht man davon aus, dass es mindestens 100, aber bis zu 400 Milliarden Sterne sind, allein in unserer Milchstraße! Mir gefiel damals ein Gedanke aus diesem Buch, nämlich dass Anfang der achtziger Jahre eben die Summe aller modernen Menschen (also homo sapiens sapiens), die jemals auf der Welt waren, so etwa auch auf 100 Milliarden geschätzt wurde. Und dass von dem Astrophysiker Kippenhahn der poetische Gedanke geäußert wurde, dass das doch kein Zufall sein könne, dass für jeden Menschen, der jemals hier war, ein Stern unserer Milchstraße reserviert sei. Es ist zwar schon Regenzeit in Kolumbien, aber gestern war sternenklarer Himmel, und dadurch kamen wir darauf zu sprechen, dass im indianischen Weltbild auch für jeden Menschen ein Stern reserviert ist. So kommt der nüchterne Wissenschaftler und der indianische Philosoph zum selben Ergebnis…
Nachtrag: wir brauchen übrigens keine Angst haben, dass der Menschheit die Sterne ausgehen, denn im Universum sind hunderte Milliarden solcher Galaxien wie unsre Milchstraße, also gibt es ungefähr 70 Trilliarden Sterne (7 mal 10 hoch 22!) , das dürfte noch eine Weile reichen, so daß kein Mensch ohne Stern dasteht....Außer, andere Planeten in diesem unermeßlich großen Universum haben auch Leben (Wahrscheinlichkeit nahe bei 1), dann müßten wir uns mit denen die Sterne teilen. Könnte aber trotzdem reichen.
Ab und zu mal raus aufs Land, gilt auch in Kolumbien. auf große Touren habe ich keine Lust aber es gibt ja auch in der Nähe Sehenswertes. Zum Beispiel die Thermalbäder an den Hängen des Puracè. Das ist ja der Vulkan, der in Sichtweite meiner derzeitigen Heimat ist. Es gibt am Fuß des Berges einen Ort gleichen Namens, etwa auf 2700 m. Das ist ein richtiger Gebirgsort, frische Luft und weite Sicht. und, was besonders bemerkenswert ist, es ist eine Cabildo Indigina, also ein Indianerreservat in Selbstverwaltung. Wir geben unseren ursprünglichen Plan auf, zu den Termales de San Juan zu fahren, weil es einmal schon sehr spät ist und zum anderen ein Führer genommen werden müsste und für hiesige Verhältnisse viel Eintritt bezahlt werden müsste.Aber es gibt in der Nähe landschaftlich zwar weniger schön gelegene, aber auch gut besuchte Thermalbäder, genannt Aguatibia. Die gehören zu einem anderen Reservat, dem Coconuco (kleine Anmerkung, heißt eigentlich "Cocourco" , und das heißt "Geisterberg") . Dort haben wir viel Spaß, und auch noch ein gutes Gefühl, weil wir mit unserem Eintritt die selbstverwaltete Indianergemeinschaft finanziell unterstützt haben. Auf dem Rückweg sind wir etwas deprimiert, weil große bewaldete Hänge gerade brandgerodet werden.
Franz hat heute alle seine Freunde eingeladen, die ich die letzten Wochen kennenlernen durfte. Er sagt zwar, es sei bei ihm üblich, ab und zu ein Fest zu feiern, aber mir wird sehr schnell klar, dass es sich bei dieser Veranstaltung um eine Farewell-Party handelt....Und zwar für mich. Eine große Ehre! Cristóbal bringt eine mobile Paella-Pfanne mit, und dann gibt’s Paella „mit Sachen drin“: Krabben, Hühner, Schweinefleisch…Wir kochen alle fleißig mit, weil es ja mitten im Wohnzimmer stattfindet. Ich hab mir hier die unangenehme Art des Sicherheitsingenieurs angeeignet, alles ganz genau auf seine Safety-Compliance hin zu überprüfen; nachdem alle Verschlüsse dicht zu sein scheinen, gebe ich grünes Licht, was aber eh keinen interessiert, weil sie schon längst losgelegt haben. Bis das Essen fertig ist, gibt es reichlich Gelegenheit zu Chismes, auf Deutsch Klatsch. Ich bin schon längst ausgestiegen, als ich mich beschwere, sagen sie, ich versäume eh nix weil sie eh nur Schmarrn reden…Ich steige dann nach dem Essen mit dem Bayrisch-Kurs ein, und alle machen eifrig und freudig mit. Die Stimmung erreicht ihren Höhepunkt, und dann wechseln wir die T-Shirts, wie nach dem Fußballspiel. Trübe Tassen sind das hier keine, das steht fest. War eine schöne Abschiedsfeier…
Heute war die letzte Gelegenheit, noch einmal mit Franz über die Essenz seiner Arbeit zu sprechen. Er hat die letzten 30 Jahre das indianische Weltbild herausgearbeitet, er nennt es ein „Kultur-Fraktal“. Das geschah nicht von heute auf morgen, denn diese philosophischen Sichtweisen sind beides, von der westlichen Kultur übertüncht, aber auch tief in der heutigen Kolumbianischen Gesellschaft verankert, ohne dass dafür immer ein Bewusstsein vorhanden ist. Obwohl dieses Weltbild dialektisch ist, hat es sogar der einfachste Paisano verinnerlicht. Und wenn man es auf seinem Kern reduziert, dann handelt es von zwei extremen Polen, zwischen denen Energien zum Ausgleich fließen. Wer jetzt dran denkt, mit dem Lesen aufzuhören, gleich wird es weniger abstrakt. Was daran faszinierend ist: wenn zu verschiedener Zeit an unterschiedlichen Orten über das gleiche nachgedacht wird und man doch immer zum selben Ergebnis kommt. So ist Ying und Yang sehr vergleichbar, sogar die 1500 Jahre alten Benediktinischen Regeln weisen Analogien auf („finde das rechte Maß“). Und, was den Physiker besonders freut, weite Bereiche der Physik handeln im Grund auch von Potenzialunterschieden und deren Ausgleich. Ganz bestimmt fielen mir bei weiterem Nachdenken noch viel mehr ähnliche Beispiele ein.Ist das nicht cool? Heißt das nicht, dass trotz der Verschiedenheit der Kulturen auf dieser Erde deren Bausteine nach dem universellen Prinzip des Dualismus entstanden sind, und dass die Verschiedenheit nur aus unterschiedlichen Kombinationen dieser Bausteine herrührt?
Genug der Vorrede, lasst uns den Versuch unternehmen, anhand eines Schaubilds die indianische Cosmovision zu erklären.Jeder Mensch ist zu jeder Zeit in seinem Lebenszyklus zwei Extremen ausgesetzt, sagen wir der Einfachheit halber erst einmal obere Hälfte (warm) und untere Hälfte (kalt), rot und blau in der Zeichnung. Oder auch energiereich vs. energiearm. Oder auch bezähmt vs. wild. Im oberen Sektor findet man auch die Pläne, das Kultivierte, die Ordnung, die Sicherheit, die Routine, die Gewohnheiten aber auch die Langeweile. Und da steht noch „Desgaste“, was soviel heißt wie Anstrengung. Denn die genannten Zustände oder Eigenschaften kommen nicht von selbst, sondern sie müssen hergestellt werden. Von nichts kommt nichts, sagt man bei uns. Was auch nichts anderes ist, nur verständlicher, als der zweite Hauptsatz der Wärmelehre. Der sagt nämlich, dass der Zustand der Unordnung der Normalzustand ist, und dass man Energie aufwenden muss, um Ordnung herzustellen (Wer wüsste das nicht). Im unteren Sektor, dem blauen, ist das Kalte und Erfrischende, das Unbezwingbare, die Wildheit, das Unvorhergesehene, die neuen Herausforderungen aber auch der Antrieb, das Vergnügen und die Gefahr. Und in diesem Spannungsfeld ist das arme Menschlein, dass durch seine Bewegung für den Ausgleich dieser Größen sorgt. Das Förderband, dass dessen Aufstieg durch Ausgleichsbewegung kompensiert, veranschaulicht die Schwierigkeit dieser Bemühungen. Wenn er zu schnell rennt, überhitzt er, und irgendwann fällt er oben vom Lebensband herunter. Die Japaner haben dafür den schönen Ausdruck Karoshi, Selbstmord durch Arbeit. Aber auch der Hedonist, der sich einen schönen Tag macht, gleitet immer tiefer ins Blaue ab, und fällt irgendwann vom anderen Ende herunter. Wir zu viel schläft, wird irgendwann depressiv und stirbt den Kältetod…Die Herausforderung für den Menschen ist also, immer Maß zu halten und möglichst die Extreme zu vermeiden, um nicht vorzeitig aus dieser Welt zu scheiden.
Am frühen Nachmittag geht mein Flieger nach Bogota. Das ist merkwürdig, einerseits freue ich mich auf zu Hause, andererseits habe ich die Menschen hier so lieb gewonnen, dass mir der Abschied recht schwer fällt. Das beruht auch auf Gegenseitigkeit, sie sagen, wenn ich schon nicht verlängere, so bis in den Dezember hinein, dann solle ich doch möglichst bald wieder zurückkehren… Macht es mir doch nicht so schwer! Ich kriege eine Escorte an den Flughafen und bin gerührt.Liebe Freunde von der Casita Bavierita, auch wenn ich weit weg bin, in Gedanken bin ich bei euch!
Nach einigen Stunden schließ ich um 21 Uhr meine Wohnungstür auf. Das Wetter ist hier schöner als in Kolumbien. Drum ist fürs Wochenende ein Radltour geplant. Es gibt aber noch viel nachzutragen, als schaut nochmal rein, ich sag ´Bescheid, wenn das Tagebuch geschlossen wird, aber noch habe ich noch etwas nachzutragen. Und vielleicht verreise ich bald schon wieder....